Immer Erreichbar – Fluch oder Segen?

 Von Asja Rieder

 

Über 80 % der deutschen Beschäftigten nutzen in ihrer beruflichen Tätigkeit aktuell digitale Informations- oder Kommunikationstechnologie.

Wer in letzter Zeit einen Blick auf seine Kollegen geworfen hat, wird vermutlich wenig überrascht sein von dieser Aussage. Nur wenige Berufe kommen im Arbeitsalltag noch ohne Computer aus. Die Möglichkeiten der modernen Medien sind schier unbegrenzt. So nutzt man doch gerne WhatsApp zum Verschicken von Urlaubsbildern quasi als digitale Postkarte und lernt man im Urlaub ein nettes Pärchen kennen und freundet sich an, kann man noch vor Ort sicherstellen, auch in Zukunft in Kontakt zu bleiben. Ein kurzer Klick auf Facebook und die Freundschaft ist gesichert. Privat so scheint es also, ist eine digitale Welt nicht mehr wegzudenken, wie wirkt sich diese Digitalisierung allerdings auf beruflicher Seite aus? Das Handy ist immer dabei, nach Feierabend und sogar im Urlaub. Hierbei ist es eine Sache, die Möglichkeit zu haben seinen Kumpels zu Hause zu zeigen wie super der neue Bikini der Liebsten aussieht. Eine andere Sache ist es aber, wenn man im Urlaub eine geschäftliche Email erhält oder vom Chef angerufen wird. Kann man die Email oder den Anruf ignorieren und wenn nein, zählt die Zeit in der man telefoniert oder die besagte Email beantwortet dann als Arbeitszeit? Die Unterbrechungen im Urlaub sind nicht mehr nur ein denkbares Szenario, sie sind vielmehr gängige Praxis geworden. Das ist außerdem mit dem fleißigen allzeit erreichbaren Familienvater, der prinzipiell nach Feierabend noch mal eben schnell eine Email aus dem Büro beantwortet? Kommt wahrscheinlich niemandem bekannt vor diese Situation. Vorsicht Ironie! Hand aufs Herz, wer macht das nicht?So oder so ähnlich wird das (fast) jedem bekannt vorkommen. Interessant ist also die Frage: Ist das überhaupt erlaubt?

Klar, wo kein Kläger da kein Richter, wird der ein oder andere anmerken. Das ist sicherlich auch richtig. Der Mitarbeiter, der dafür regelmäßig mal eher gehen kann oder einfach deutlich flexibler in der Gestaltung seiner Tätigkeit ist, der wird den Teufel tun und sich beschweren. Was ist aber mit denen, die sich nach getaner Arbeit zu Hause ohne weitere Störungen mit der Familie vergnügen möchten? Schauen wir uns zuerst an, warum es das Arbeitszeitgesetz überhaupt gibt und wie der gesetzliche Rahmen aussieht in dem wir uns bewegen. Um die Regelungen des Arbeitszeitgesetzes verstehen zu können, sollte man sich kurz mit seiner historischen Entstehung befassen.

Im Zeitalter der Industrialisierung (1815-1835) war es für den Durchschnittbürger üblich zwischen 80 und 90 Stunden in der Woche zu arbeiten. Diese „Arbeitswoche“ ging von Montag bis Sonntag. Die katastrophalen hygienischen Bedingungen der damaligen Zeit sorgten für übermäßig viele Kranke. Irren- und Krankenhäuser waren überfüllt und die Situation vor Ort, erforderte oft dauerhafte Betreuung. 30-40 Stunden-Schichten waren gerade für Frauen absolut normal. Doch auch damals war dem ein oder anderen pfiffigen Kopf schon klar, wenn man die „Buben“ und Männer rund um die Uhr in den Fabriken einsetzt, sind diese im Zweifel später nicht mehr wehrfähig. Wäre schlecht im Kriegsfall. Setzt man außerdem die Mädels und Frauen dauerhaft in den Spitälern ein, können sie sich zu Hause wiederum nicht mehr um Mann und Kind kümmern. Passt nicht so richtig ins Rollenbild oder? Eine blöde Zwickmühle aus der man sich befreien musste.

Welch grandioser Ansatzpunkt für die Entstehung des späteren Arbeitszeitgesetzes. Wofür ist das Arbeitszeitgesetz also da? Eher nicht um den Mitarbeiter zu ärgern. Der Gedanke dahinter ist ganz einfach der, dass der Mitarbeiter geschützt werden soll. Das Arbeitszeitgesetz dient dem innerbetrieblichen Gesundheitsschutz. Der Mitarbeiter hat ein Recht auf Beschäftigung, aber eben auch ein Recht auf Erholung. Was steht da denn jetzt konkret drin in diesem Arbeitszeitgesetz? Erstmal steht drin, dass werktäglich, also von Montag bis Samstag bis zu 10 Stunden Arbeit pro Tag erlaubt sind. Verlässt der Mitarbeiter seinen Arbeitsplatz sollten bis zum erneuten Aufschlagen mindestens 11 Stunden Ruhezeit vergangen sein. Außerdem wichtig, im Durchschnitt dürfen in 24 Wochen werktäglich nicht mehr als 8 Stunden geleistet werden. (man dividiere alle geleisteten Stunden durch alle gesetzlich möglichen Werktage). Arbeitet ein Mitarbeiter „klassisch“ von „neun bis fünf“ ist mit Fallenlassen des Stiftes im Büro, buchstäblich Schluss. Verlässt der Mitarbeiter seinen Arbeitsplatz um nach Hause zu fahren, endet die Arbeitszeit. Ist der Feierabend also einmal eingeläutet worden, dann bleibt es auch dabei. Dann ist nix mehr mit Email und Co von zu Hause aus. Dabei spielt es – so streng ist das Gesetz – auch keine Rolle, ob es eben eine Mail oder noch zwanzig Mails sind, die daheim nochmals angefasst werden. Ja aber sind das denn nicht Überstunden, wenn ich dann einfach noch was von zu Hause mache?

Ehm neeee, leider nicht.

Mit Überstunde ist gemeint, dass der Mitarbeiter direkt im Anschluss an seine „normale“ Arbeitszeit weitere Arbeitszeit anhängt, also unmittelbar und sofort nach vertraglich festgehaltenem, regelmäßigem Ende der Arbeitszeit. Beendet der Mitarbeiter aber seine tägliche Arbeitszeit, und beantwortet beispielsweise gegen 22 Uhr abends noch eine geschäftliche Mail, ist dies sicherlich keine Überstundenarbeit. Diese Form der Arbeit ist schlichtweg nicht direkt im Anschluss an seine reguläre Arbeitszeit. Überstunden darf ein Mitarbeiter selbstverständlich machen, aber eben nur direkt im Anschluss an die Arbeitszeit. Vorausgesetzt selbstverständlich, dass sämtliche Voraussetzungen hierfür (vertraglich, tariflich, betrieblich) erfüllt sind.

Warum ist das so? Das Gesetz sagt ganz klar, die Arbeitnehmer müssen nach Beendigung der täglichen Arbeitszeit eine ununterbrochene Ruhezeit von mindestens elf Stunden haben. (vgl §5 Abs. 1 ArbZG) Die Krux liegt hier ganz klar in dem Wort ununterbrochen, beantwortet Vati jetzt also immer schön abends noch seine liegengebliebenen Mails aus dem Büro, dann ist das zwar hoch motiviert aber leider einfach nicht erlaubt. Das Arbeitszeitgesetz in seiner derzeit gültigen Fassung lässt das schlicht nicht zu, weil eben jede Unterbrechung egal ob sie 1 Minute oder 1 Stunde andauert eine Unterbrechung ist, die das Gesetzt untersagt.

Fazit ist also, dass das Schreiben von Emails oder Beantworten von Anrufen nach Beendigung der Arbeitszeit unzulässig ist.

Wichtig! Der Anwendungsbereich des Arbeitszeitgesetzes bezieht sich hier nicht auf leitende Angestellte, sondern auf den plakativ gesagt stinknormalen Angestellten.

Leitende i.S.d. § 5 Abs. 3 des Be­trVG sind laut § 18 Abs. 1 Nr. 1 Arb­ZG von den entsprechenden Regelungen des Arbeitszeitgesetzes ausgeschlossen.

Was ist jetzt aber mit dem Fall, indem der Chef seinen Mitarbeiter innerhalb seiner Urlaubszeit anruft oder diesem eine geschäftliche Email schickt?

Hier sollte man zuerst den Sinn und Zweck des Urlaubs kennen.

Urlaub ist Erholungsurlaub und soll dem Mitarbeiter zur Erholung und Regenerierung dienen. § 8 BurlG sagt ganz klar, während des Urlaubs darf der Arbeitnehmer keine dem Urlaubszweck widersprechende Erwerbstätigkeit leisten. Widersprechende Erwerbstätigkeit, klassisches Juristendeutsch. Was ist das?

Gehen wir mal davon aus, dass der oben genannte Mitarbeiter einer Bürotätigkeit nachgeht. Nimmt er jetzt Urlaub, dann möchte er sich von seinem Bürojob erholen. Würde er jetzt während seines Urlaubes für einen anderen Arbeitgeber ebenfalls einer Bürotätigkeit nachgehen, könnte er sich schlicht nicht erholen, da er ja im Urlaub das Gleiche macht wie sonst auch. Klar oder?

Übt ein Mitarbeiter also während seines Erholungsurlaubes eine Tätigkeit aus, die Teil seines normalen Jobs ist, dann widerspricht diese Tätigkeit dem Urlaubszweck des Bundesurlaubsgesetzes. Diese Tätigkeiten sind somit zu unterlassen, also nicht erlaubt. Als Skilehrer, Animateur oder Tauchlehrer darf der oben beschriebene Mitarbeiter beispielweise aber arbeiten, da diese nicht deckungsgleich mit seiner normalen Tätigkeit ist. Auf den konkreten Fall bezogen bedeutet dies, der Mitarbeiter hat ein Anrecht auf Erholung, er darf während seines Urlaubes keiner Tätigkeit nachkommen die ihn an der Erholung hindert. Ruft der Chef also innerhalb der Urlaubszeit an, braucht der Mitarbeiter nicht dranzugehen. Abstriche sind natürlich da möglich, wo es sich um einen tatsächlichen Notfall handelt. Ansonsten gibt es auch hier keine minderschweren Fälle. Arbeit ist Arbeit. Liest man die oben aufgestellten Fragen und Antworten, lässt sich unschwer erkennen, dass das Arbeitszeitgesetz nicht wirklich auf die Bedürfnisse moderner Unternehmen ausgelegt ist, welche im Zweifel gänzlich andere Erwartungen an ihre Mitarbeiter haben als in der Vergangenheit. 

Durch die Einführung moderner Medien hat sich die Arbeitswelt in Deutschland stark verändert. Der heutige häufig vorkommende „moderne“ Mitarbeiter erledigt seine Arbeit nicht mehr ausschließlich am Stück und am vorgegebenen Arbeitsplatz im Büro, nein er beantwortet die erste Email am Frühstückstisch und nimmt im Zug auf dem Weg zur Arbeit an der ersten Telefonkonferenz teil. Sein „Büro“ ist somit flexibel geworden, liegt außerhalb der ehemals starren Grenzen des Gesetzes. Vor fünfzig Jahren wäre man vermutlich belächelt worden für derartig abstruse Arbeitszeitmodelle, so war doch damals die schlichte Vorstellung eine Email versenden zu können, absolut undenkbar. Durch die Digitalisierung verwischen zunehmend die Grenzen zwischen Privatem und Beruflichem. Der Arbeitnehmer kann beliebig auf die Arbeit, aber auch die Arbeit beliebig auf den Arbeitnehmer zukommen. Damit moderne Unternehmen in der heutigen Zeit wettbewerbsfähig bleiben, sind sie gezwungen sich der fortschreitenden Digitalisierung zu unterwerfen. Der stete Kontakt mit weit verstreuten Kunden, Vorgesetzen und Kollegen im Unternehmen oder Konzern- ist unerlässlich geworden. Ungünstig wirkt sich dabei die Zeitverschiebung oder die Vorstellung des Vorgesetzten von den Zeiten des Bereit-Sein-Müssens aus, diese richtet sich nämlich bekanntermaßen nicht nach der vom Gesetzgeber so geliebten klassischen Arbeitszeit. Die Vielzahl an verschiedenen, heute gängigen Arbeitnehmertypen und neuen technischen Möglichkeiten machen es unmöglich ein für alle gleichermaßen brauchbares Arbeitszeitmodell im Rahmen des bestehenden Rechts zu entwickeln. Um den Mitarbeiter vor sich selbst zu schützen, sollte der Arbeitgeber reagieren. Er sollte dafür Sorge tragen, dass der Mitarbeiter erst gar nicht in fragwürdige Situationen kommt.

Möglichkeiten zur Wahrung der Ruhezeiten sind beispielsweise eine automatisch eingerichtete Zugangssperre, die den Mitarbeiter daran hindern sich nach Feierabend in seinen Firmen-Account einzuloggen, oder aber das Speichern der Login-Zeiten. Hier kann der Betriebsrat regelmäßig überprüfen, ob die Ruhezeiten eingehalten wurden.Damit hier klarere Lösungswege möglich sind, ist es unerlässlich, dass neue gesetzliche Regelungen geschaffen werden. Das derzeitige Gesetz sagt ganz klar, kein Mitarbeiter kann dazu gezwungen werden, muss sogar davor geschützt werden, nach Feierabend Emails oder Anrufe bearbeiten zu müssen. Niemand kann dazu gezwungen werden über seinen Feierabend hinaus auch nur einen Gedanken an seine Arbeit zu verschwenden, im Umkehrschluss heißt dies aber auch, es darf Niemand benachteiligt werden falls er sich weigert nach Feierabend auf Emails oder Anrufe zu reagieren.

Was hat das jetzt mit Betriebsratstätigkeit zu tun?

Gemäß § 87 I Nr. 2 BetrVG ist der Betriebsrat in der Mitbestimmungspflicht sobald es um den Beginn und das Ende der täglichen Arbeitszeit, einschließlich der Pausen, sowie um die Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage geht. Außerdem ist er mitbestimmungspflichtig, sobald es um eine vorübergehende Verkürzung oder Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit geht. Sieht sich ein Mitarbeiter also in der Pflicht auf Emails oder Anrufe außerhalb seiner Arbeitszeit zu reagieren, sollte er sich postwendend an den Betriebsrat wenden, vorausgesetzt natürlich es gibt einen.

Wie passen das denn jetzt überhaupt zusammen? Die Antwort ist, gar nicht. Da haben wir sie, die Lücke im System. Der Betriebsrat muss sich selber fragen, ob er angesichts der teils außerbetrieblichen Zwänge immer so genau hinschauen möchte. Schwierige Situation. Eine Lösung könnte sein, Mitarbeitern ab einer gewissen Gehaltsklasse einen eigenen Entscheidungsspielraum einzuräumen. Sollen sie doch bitte eigenständig entscheiden ob oder ob nicht. Für alle anderen wäre die Sperrung des Accounts ratsam. Die Frage ob das Gesetz geändert werden sollte, um den Gegebenheiten des Marktes besser folgen zu können, bleibt abschließend ungeklärt. Digitalisierung und Globalisierung sind starke Einflussfaktoren, denen sich der deutsche Gesetzgeber nicht gänzlich verschließen kann. Auch er, hat in jüngster Vergangenheit verstanden, dass sein spießiges Äußeres ein neues Outfit braucht. Ein sinnvoller Lösungsweg wäre hier die Möglichkeiten des eigenständigen Gestaltens schmal zu halten und somit die oben aufgezeigte Entkoppelung von Privatheit und Arbeit auf ein absolut notwendiges Maß zu beschränken. Entgleisungen will ja schließlich keiner. Nachdenken könnte man außerdem über eine nicht unerhebliche Entgeltkomponente – ähnlich wie bei der Nachtarbeit. Bekommt der Mitarbeiter extra Kohle für mehr Flexibilität, denkt der Arbeitsgeber zweimal mehr nach, über das Ob oder Ob nicht. Nichts diszipliniert mehr als Kosten. Und würden wir uns nicht alle freuen über eine entsprechende Zulage? Insgesamt wäre die Betriebsratsarbeit einfacher und deutlich näher am Rahmen des rechtlich Richtigen, wenn es die ein oder andere Öffnungsklausel innerhalb des Gesetzes geben würde und über ein paar Mark mehr, wurde sich sicherlich auch niemand beschweren.