Lex Osterloh, Lex Lambsdorf und die faire Bezahlung von Betriebsräten – Wie im Lehrbuch – fehlende Mitbestimmung erlaubt vertragliche „Befehlsverweigerung“ – LAG Nürnberg 7 Sa 414/16 – Wie überraschend;-) Mehr Freistellung durch Leiharbeitnehmer? BAG – 7 ABR 60/15 – Versprochen ist doch versprochen?? Oder „Wort is Wort I“ – ArbG Cottbus 10481/16 – Gib mich dat Telefon – LAG Hessen – 3 BV 3/16 – Mitbestimmungswidrige Änderung der Entlohnungsgrundsätze durch nicht tarifgebundenen AG = Altregelung gilt weiter BAG – 1 AZR 772/14 – Standortsicherungsvereinbarung – Wort is Wort II LAG Köln – 8 TaBV 32/17 – Das ist nicht Dein Ernst? Freistellung, weil KBR? LAG Berlin-Brandenburg 9 TaBV 577/16 – Soll ich´s mir aus den Rippen schneiden – Umfang der Vorlagepflicht im Rahmen von § 99 BetrVG – Beschränkung auf dem AG vorliegende Unterlagen
ArbG München – 12 BV 394/16 – Ja, Nein, Ja, Nein, weiß nicht oder / und „kommt drauf` an“ – ein kleines Sammelsurium zur Außerordentlichen Kündigung (AOK) – Die Matratze und das Arbeitsrecht oder: Trockenpflaume und Kohlenhydrate sind „hilfreich“
Und: Unser neuer Podcast zur Arbeitszeit!!
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Undund: „In die Gänge Kommen(?)“ Betriebsrat und Digitalisierung https://www.team-arbeitsrecht.com/aktuelles/digitalisierung-die-neue-bedrohung-oder-bloss-heisse-luft/
Undundund: a.E. der Beitrag Die Matratze und das Arbeitsrecht oder: „Trockenpflaume und Kohlenhydrate sind „hilfreich“.
Lex Osterloh, Lex Lambsdorf und die faire Bezahlung von Betriebsräten
Der klugscheißernde (Jurist) – auch ich – spricht gerne von einer „Lex SOWIESO“, wenn extra für einen bestimmten Menschen oder Fall ein Gesetz gebastelt wird, um was Illegales oder zumindest Anrüchiges mal wacker in die Legalität zu tragen.
Lex Lambsdorf schimpfte sich die nachträgliche Legalisierung des Lambsdorfverhaltens in der Steueraffäre Flick – das war ernsthaft – na ja – kein glorreich rechtsstaatliches Tun.
Wer lesen mag: https://de.wikipedia.org/wiki/Flick-Affäre
Und das hat nun was mit Herrn Osterloh, dem Chef der VW-Räte zu tun?? Nun, die Frau Nahles hat einen Gesetzesentwurf gebastelt, der auch die Qualifizierung durch das Amt als Grund für eine Steigerung der Vergütung berücksichtigen soll.
Wortlaut:
„Bei der Bemessung des Arbeitsentgelts und er allgemeinen Zuwendungen sind außerdem die zur Wahrnehmung der Betriebsratstätigkeit erworbenen Qualifikationen und Erfahrungen, wie auch regelmäßig wahrgenommene Aufgaben zu berücksichtigen, soweit sie die Betriebsratstätigkeit prägen“.
Na ja: jedenfalls bin ich noch bei Herrn Fuchs von der schwarzen Truppe, wenn er den Entwurf als „viel zu weit gefasst „ und „intransparent“ geißelt. Denn Qualifikation (Schulungen bei IFB und POKO gemacht??), Erfahrung (Anzahl von Betriebsversammlungen, abgeschlossenen BV´en) und Aufgaben (Ausschüsse?) lassen sich schwerlich abbilden.
Da haben wirklich Depperte zwischen Mittag und Kaffeepause gewerkelt. Das macht das Vorhaben an sich aber nicht schlecht. Denn eine bessere Bezahlung macht das Amt attraktiver, die Leistung für die – auch menschlichen – Mühen gerechter und eröffnet tatsächlich einen Wettbewerb um das Amt auch für evtl noch mehr Engagierte.
Das lobenswerte Ansinnen dann als Versuch einer Lex Osterloh zu bezeichnen, um den gerade von der Staatanwaltschaft untersuchten Fall wegen Begünstigung von Betriebsräten zu verunglimpfen, geht nicht nur zu weit. Nein, vielmehr wird eine gute Sache in den Dreck gezogen.
An sich dann aber auch wieder schade, dass die gute Idee durch so einen mehr als nur geistig bescheidenen Vorschlag geradezu lächerlich wirkt und auch ist. Und auch, dass die Frau Nahles das Dingen mal ganz wacker vor Ende der Legislaturperiode durch den Bundestag hauen wollte, was natürlich die Scharfmacher der Arbeitgeberfraktion auf den Plan rufen musste.
All in all ein Bärendienst, weil eine an sich gute Idee plump, unpraktikabel gemacht und zeitlich schlecht platziert wurde.
Denn auch die Industrie sieht hier Handlungsbedarf: es besteht Notwendigkeit „Klarheit zu schaffen“ – offizielle Stellungnahme der Daimler-AG.
Wir bleiben dran……
Wie im Lehrbuch – fehlende Mitbestimmung erlaubt vertragliche „Befehlsverweigerung“ – LAG Nürnberg 7 Sa 414/16
Der Arbeitgeber hatte einen Gruppenkalender eingerichtet und die Mitarbeiter angewiesen, diesen zu nutzen. Ein Mitarbeiter weigerte sich, worauf hin er eine Abmahnung erhielt. Dagegen wehrte er sich erfolgreich. Denn: „dem Arbeitgeber darf aus einer betriebsverfassungsrechtlichen Pflichtwidrigkeit auch im Rahmen des Arbeitsverhältnisses kein Vorteil erwachsen (so bereits Bundesarbeitsgericht ‒ Urteil vom 23.02.2016 ‒ 1 AZR 73/14). Wie? Dieser Gruppenkalender war mitbestimmungspflichtig??? JA
Gem. § 87 Absatz 1 Nr. 6 BetrVG hat der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht bei der „Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen“
Die technische Einrichtung iSd. § 87 I Nr. 6 muss selbst und automatisch die Daten über bestimmte Vorgänge verarbeiten.
Zur Überwachung „bestimmt“ sind technische Einrichtungen bereits dann, wenn sie objektiv geeignet sind, Verhaltens- oder Leistungsinformationen der Arbeitnehmer zu erheben und aufzuzeichnen; auf eine subjektive Überwachungsabsicht des Arbeitgebers kommt es nicht an
Der Outlook-Gruppenkalender stellt eine technische Einrichtung im Sinne des § 87 Absatz 1 Nr. 6 BetrVG dar, denn der Gruppenkalender ermöglicht es dem Arbeitgeber, eine Auswertung der Leistungen der Beschäftigten im Hinblick auf die Koordination seiner Termine oder der Terminsdichte vorzunehmen. Das ist auch möglich, ohne dass der Arbeitnehmer davon Kenntnis erhält. Das LAG sah demnach die Überwachung(smöglichkeit), daraus resultierend die Mitbestimmungspflicht. Und daher bei fehlender Mitbestimmung das Recht des Mitarbeiters, sich dem Nutzungsbefehl zu verweigern.
Anm. das gleiche Thema hatte bereits vor drei Jahren das Arbeitsgericht Münster nicht mitbestimmungspflichtig angesehen. Sancta Simplicitas – frei nach Prof. Dr. Dr. Karl-Friedrich Boerne, alias J.J. Liefers…..
Wie überraschend;-) Mehr Freistellung durch Leiharbeitnehmer? BAG – 7 ABR 60/15
Die Zahl der Freistellungen richtet sich gem. § 38 BetrVG sich nach der Zahl der Betriebsangehörigen. Ab 200 Arbeitnehmern gibt es die erste Freistellung. Das Gesetz stellt dabei nicht auf den Zeitpunkt der Wahl, sondern auf die Zahl der „regelmäßig Beschäftigten“ ab. Demnach ist zunächst wichtig festzuhalten, dass die Freistellung(szahl) während des Amtes erst entstehen, aber auch wieder wegfallen kann. Für die Frage der „regelmäßigen Zahl“ – hier extra vereinfachend – ist auf die mehrheitlich im Jahresschnitt bestehende Mitarbeiterzahl abzustellen.
Weiterhin ist zu fragen: wer sind die zu zählenden Beschäftigten? Zählen auch die Leiharbeitnehmer (LAN) dazu? Dass diese wahlberechtigt sind, aber (immer noch) nicht wählbar, ergibt sich aus dem Gesetz. Die Rechtsprechung hat mittlerweile geklärt, dass LAN sowohl für die Betriebsratsgröße als auch für die Betriebsgröße selber mitzählen. Argument für Ersteres war die mit der LAN-Zahl gestiegene Arbeitsbelastung. Da war es nur konsequent, LAN bei der Feststellung der für die Anzahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder maßgeblichen Belegschaftsstärke im Entleiherbetrieb zu berücksichtigen, wenn sie zu dem regelmäßigen Personalbestand des Betriebs gehören.
Versprochen ist doch versprochen?? Oder „Wort is Wort I“ – ArbG Cottbus 10481/16
Im Jahre 2009 wurde über das Intranet der Firmengruppe ein Dokument über die Zuwendungen für Jubiläen veröffentlicht, in dem mitgeteilt wurde, zum zehnjährigen Betriebsjubiläum würden die Beschäftigten ein Gratulationsschreiben sowie ein zusätzliches Bruttomonatsgehalt erhalten. Dieses Dokument wurde weiterhin ebenfalls in 2009 auch per E-Mail an alle Beschäftigten versandt. Im Jahre 2014 entschied die Firmengruppe, diese Regelung mit Wirkung zum 01.01.2016 zu ändern. Fortan soll demnach statt des Monatsgehalts „Kaffee mit der Abteilung“ sowie ein Abendessen für den Beschäftigten und dessen Partner gewährt werden. Am 07.07.2015 wurden die Beschäftigten im Rahmen einer Betriebsversammlung über die Neuregelung informiert. Als der Kläger das zehnjährige Jubiläum erreicht hatte, erhielt er eine Zahlung von 100 Euro netto. Der Kläger forderte die Beklagte wegen der abgegebenen „Gesamtzusage“ auf, ein Bruttomonatsgehalt als Sonderzuwendung zu zahlen. Gesamtzusagen sind eine an die Beschäftigten gerichtete Erklärung des Arbeitgebers, zusätzliche Leistungen erbringen zu wollen. Sie sind ein Vertragsangebot an die einzelnen Beschäftigten, das diese auch ohne ausdrückliche Erklärung annehmen können. Die Zusage wird dann zum Bestandteil des Arbeitsvertrages und der Arbeitgeber kann sich, wenn kein ausdrücklicher Änderungs- oder Widerrufsvorbehalt aufgenommen wurde, nur durch Änderungsvertrag oder Änderungskündigung von der Zusage lösen.
Das ArbG Cottbus hat der Klage weitestgehend stattgegeben und dem Kläger 90% eines Bruttogehalts zugesprochen.
Nach Auffassung des Arbeitsgerichts war der Arbeitgeber zwar nicht gehindert, für die Zukunft die Zusage zum Jubiläumsgeld zu ändern. Dem Kläger stehe jedoch Vertrauensschutz zu, soweit es um Leistungen für die Zeit bis zur Bekanntgabe dieser Änderung gehe. Auszugehen sei von einer entsprechenden Anwendung der Grundsätze, die das BAG für die Änderung einer Gesamtzusage über eine betriebliche Altersversorgung aufgestellt habe. Hiernach sei für die Zukunft eine Änderung durch den Arbeitgeber auch ohne Zustimmung der Beschäftigten möglich.
Für die Beschäftigten sei erkennbar gewesen, dass dieses durch den Konzern auch wieder geändert werden könnte.
Zum Zeitpunkt der Bekanntgabe der Änderung im Sommer 2015 sei der Kläger bereits neun Jahre beschäftigt gewesen. In Bezug auf diese zurückgelegte Beschäftigungszeit könne er sich auf Vertrauensschutz berufen, da er von der Geltung der bisherigen Regelung ausgehen konnte. Insoweit bestehe der Anspruch i.H.v. 90% (neun von zehn Jahren) eines Bruttogehalts.
Die Entscheidung des Arbeitsgerichts, die Beschäftigten hätten hier auch ohne ausdrücklichen Änderungs- bzw. Widerrufsvorbehalt nicht von einer verbindlich zugesagten Leistung ausgehen können, steht mir der Rechtsprechung des BAG nicht im Einklang (vgl. BAG, Urt. v. 23.10.2002 – 10 AZR 48/02 sowie BAG, Urt. v. 28.04.2004 – 10 AZR 481/03). Das BAG führt dazu aus, die Bekanntgabe einer solchen Zahlung stelle eine Gesamtzusage dar, die für die Beschäftigten arbeitsvertragliche Ansprüche begründe. Auch bei der Bezeichnung als „freiwillige Sozialleistung“ sei für die Beschäftigten nicht erkennbar, dass die Zusage unter einem Widerrufsvorbehalt stehe. „Daher muss der Arbeitgeber es in seiner Erklärung gegenüber den Arbeitnehmern unmissverständlich deutlich machen, wenn er sich den Widerruf einer zugesagten Sozialleistung vorbehalten bzw. eine vertragliche Bindung von vornherein verhindern will. Er kann z.B. die Leistung „ohne Anerkennung einer Rechtspflicht“ oder „jederzeit widerruflich“ in Aussicht stellen.“
Jubiläumszahlungen sind kein Geschenk, sondern Entgelt, mit dem eine Anerkennung für geleistete Arbeit und ein Anreiz für den Verbleib im Unternehmen erfolgt. Änderungen sind nur einvernehmlich oder durch (zu rechtfertigende) Änderungskündigung möglich.
Gib mich dat Telefon – LAG Hessen – 3 BV 3/16 –
Ne, selbstverständlich ist im Recht nix. Nur sind manche Dinge so klar, dass es jedenfalls nahe liegt, sie als selbstverständlich zu bezeichnen. Schulungen, Räumlichkeiten, PC für den BR. NE, nicht immer und unbedingt. In Summe stellt sich die Frage erst gar nicht, weil Vorstehendes diskussionsfrei erfolgt. Was aber passiert, wenn der Arbeitgeber – weil er´s kann – zunächst mal „NEIN“ sagt, hier am Beispiel eines Smartphonebegehrens. Hier sind wir uns doch sicher einig, dass ein solcher Anspruch nur gegeben ist, wenn das Phone für die BR-Arbeit erforderlich ist. Wann ist das der Fall? Kommt drauf an. In unserem Fall wurde er bejaht, denn
der Betrieb unterhielt diverse Außenstellen, die vom Betriebsratsvorsitzenden in gewissen Abständen besucht werden und er zu diesen Zeiten im Betriebsratsbüro nicht für AN erreichbar ist. Ferner wurde berücksichtigt, dass in dem Krankenhausbetrieb im Schichtdienst gearbeitet wird und der Betriebsratsvorsitzende für diese Mitarbeiter auch abends und an Wochenenden erreichbar sein will; für bei dieser Gelegenheit vorzunehmende Terminabsprachen benötigt er Zugriff auf seinen digitalen Terminkalender. Ok, nachvollziehbar, dass es für das Smartphone erst einer Begründung bedurfte. Aber auch bei anderen, an sich tatsächlich selbstverständlichen Ausstattungsthemen muss mitunter ein Grund her. Raum, Büromaterial und Literatur. Alles steht immer unter dem Vorbehalt der nachzuweisenden Erforderlichkeit. Und tatsächlich muss man sich wappnen und ggfs auch mal nachlesen….
Mitbestimmungswidrige Änderung der Entlohnungsgrundsätze durch nicht tarifgebundenen AG = Altregelung gilt weiter BAG – 1 AZR 772/14 –
LANG, aber sehr lesenswert: Führt ein nicht tarifgebundener AG ohne Beteiligung des Betriebsrats Maßnahmen durch, die eine Änderung der im Betrieb geltenden Entlohnungsgrundsätze bewirken, können davon betroffene AN nach der Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung eine Vergütung auf der Grundlage der zuletzt mitbestimmungsgemäß eingeführten Entlohnungsgrundsätze verlangen. Die Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung trägt allerdings keinen Anspruch auf eine Vergütung, wenn diese Entlohnungsgrundsätze bereits mitbestimmungswidrig eingeführt wurden.
Die Parteien streiten über die Zahlung von Weihnachtsgeld für das Jahr 2012.
Der Kläger war zunächst bei der K beschäftigt. Im Jahr 2008 schloss deren Insolvenzverwalter mit dem Kläger – wie mit der Mehrzahl der Beschäftigten – einen neuen Arbeitsvertrag. Dieser regelt ua. ein monatliches Bruttoentgelt sowie eine ergebnisabhängige Sonderzahlung.
„Das Weihnachtsgeld 2008 berechnet sich nach dem durchschnittlichen Arbeitsverdienst einschließlich Nachtzuschläge der letzten 3 Monate vor dem Monat November 2008. Für die Zahlung gilt folgende Staffelung:
nach 6 Monaten Betriebszugehörigkeit
25 % eines Monatsverdienstes
nach 12 Monaten Betriebszugehörigkeit
35 % eines Monatsverdienstes
nach 24 Monaten Betriebszugehörigkeit
45 % eines Monatsverdienstes
nach 36 Monaten Betriebszugehörigkeit
55 % eines Monatsverdienstes
Der Arbeitgeber behält sich vor, diese Leistung im Fall der wirtschaftlichen Notlage zu widerrufen.“
Das Arbeitsverhältnis des Klägers ging in der Folgezeit auf die nicht tarifgebundene Beklagte, bei der ein Betriebsrat gebildet ist, über. Diese teilte dem Kläger mit Schreiben vom 12. November 2012 mit, sie widerrufe „das Weihnachtsgeld für das Jahr 2012 aufgrund wirtschaftlicher Notlage“. Der Widerruf erfolgte gegenüber allen Arbeitnehmern, deren Arbeitsvertrag eine Widerrufsklausel vorsieht. Die Arbeitsverträge der übrigen Arbeitnehmer enthalten entweder keine Regelung zur Gewährung eines Weihnachtsgelds oder keinen Widerrufsvorbehalt. Zum Zeitpunkt des Widerrufs stand die Beklagte kurz vor einer Insolvenz, die nur durch den Einstieg eines Investors abgewendet werden konnte. Dieser hatte sein finanzielles Engagement vom Widerruf des Weihnachtsgelds abhängig gemacht.
Mit der Klage hat der Kläger die Zahlung eines Weihnachtsgelds für das Jahr 2012 geltend gemacht. Der Widerrufsvorbehalt in Nr. 3 Abs. 4 des Arbeitsvertrags sei unwirksam. Er verstoße gegen das Bestimmtheitsgebot nach §§ 307, 308 Nr. 4 BGB. Es sei nicht erkennbar, in welchen Fällen eine wirtschaftliche Notlage vorliege. Diese habe auch nicht bestanden. Jedenfalls entspreche die Ausübung des Widerrufs nicht billigem Ermessen. Zudem sei der Widerruf nach der Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung unbeachtlich. Die Beklagte habe die Entlohnungsgrundsätze geändert, weil der Widerruf nicht gegenüber sämtlichen Arbeitnehmern erfolgt sei. Hierbei habe der Betriebsrat beteiligt werden müssen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht sie abgewiesen. Mit seiner Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung eines Weihnachtsgelds. Die Beklagte war nach Satz 2 der Vereinbarung berechtigt, die arbeitsvertragliche Zusage eines Weihnachtsgelds einseitig zu widerrufen.
- INHALTSKONTROLLE
Der Widerrufsvorbehalt unterliegt als eine von Rechtsvorschriften abweichende Bestimmung der uneingeschränkten Inhaltskontrolle, § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB Einseitige Leistungsbestimmungsrechte, die dem Verwender das Recht einräumen, die Hauptleistungspflichten einzuschränken, zu verändern, auszugestalten oder zu modifizieren, unterliegen der Inhaltskontrolle.
Ein Widerrufsvorbehalt muss den formellen Anforderungen von § 308 Nr. 4 BGB gerecht werden. Bei den Widerrufsgründen muss zumindest die Richtung angegeben werden, aus der der Widerruf möglich sein soll, zB wirtschaftliche Gründe, Leistung oder Verhalten des Arbeitnehmers. Diesem Transparenzgebot wird die Widerrufsklausel gerecht. Der Grad der wirtschaftlichen Störung, die einen Widerruf ermöglichen soll, wird darin konkretisiert. Die Klausel stellt ausdrücklich klar, dass der Arbeitnehmer im Fall der wirtschaftlichen Notlage mit dem Widerruf der zugesagten Zahlung eines Weihnachtsgelds rechnen muss. Angesichts der Vielzahl der möglichen wirtschaftlichen Entwicklungen ist es nicht erforderlich, die „wirtschaftliche Notlage“ näher zu konkretisieren, etwa durch die Angabe eines Zeitraums, in dem Verluste vorliegen müssen, wie es die Revision beispielhaft meint. Der Anwendungsfall ist schon auf Ausnahmesituationen beschränkt und damit klar genug umrissen.
Die Vereinbarung eines Widerrufsrechts ist nach § 308 Nr. 4 BGB zumutbar, wenn der Widerruf nicht grundlos erfolgen soll, sondern wegen der unsicheren Entwicklung der Verhältnisse als Instrument der Anpassung notwendig ist. Die gebotene Interessenabwägung muss zu einer Zumutbarkeit der Klausel für den Arbeitnehmer führen. Das richtet sich in Anlehnung an § 307 BGB insbesondere nach der Art und Höhe der Leistung, die widerrufen werden soll, nach der Höhe des verbleibenden Verdienstes und der Stellung des Arbeitnehmers im Unternehmen. Unter Berücksichtigung aller Gesichtspunkte muss der Widerrufsgrund den Widerruf typischerweise rechtfertigen. Auch wenn der Arbeitgeber im Grundsatz ein anerkennenswertes Interesse daran hat, bestimmte Leistungen, insbesondere „Zusatzleistungen“ flexibel auszugestalten, darf das Wirtschaftsrisiko des Unternehmers nicht auf den Arbeitnehmer verlagert werden. Eingriffe in den Kernbereich des Arbeitsvertrags sind nach der Wertung des § 307 Abs. 2 BGB nicht zulässig. Die Vereinbarung eines Widerrufsvorbehalts für ein dem Arbeitnehmer zugesagtes Weihnachtsgeld bei wirtschaftlicher Notlage des Arbeitgebers ist zulässig, wenn durch dessen Wegfall das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung im Arbeitsverhältnis nicht grundlegend berührt ist. Das ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts der Fall, soweit der im Gegenseitigkeitsverhältnis stehende widerrufliche Teil des Gesamtverdienstes unter 25 vH liegt. Sind darüber hinaus Zahlungen des Arbeitgebers widerruflich, die keine unmittelbare Gegenleistung für die Arbeitsleistung darstellen, erhöht sich der widerrufliche Teil der Arbeitsvergütung auf bis zu 30 vH des Gesamtverdienstes. Dem Arbeitnehmer wird hier zu seinem Vorteil eine Leistung zusätzlich zum üblichen Entgelt gewährt. Der Arbeitgeber ist dann bis zur Grenze der Willkür frei, die Voraussetzungen des Anspruchs festzulegen und dementsprechend auch den Widerruf zu erklären.
- AUSÜBUNGSKONTROLLE:
Die Beklagte hat ihr Widerrufsrecht wirksam ausgeübt.
Neben der Inhaltskontrolle der in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthaltenen Widerrufsklausel steht die Ausübungskontrolle gemäß § 315 BGB. Die Erklärung des Widerrufs stellt eine Bestimmung der Leistung durch den Arbeitgeber nach § 315 Abs. 1 BGB dar. Der Widerruf muss im Einzelfall billigem Ermessen entsprechen. Die Beklagte befand sich zum Zeitpunkt der Ausübung des Widerrufsrechts mit Schreiben vom 12. November 2012 in einer wirtschaftlichen Notlage. Sie war nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts in ihrer Existenz bedroht und stand am Rande einer Insolvenz, die nur mit Hilfe eines Investors abgewendet werden konnte.
Eine Leistungsbestimmung entspricht billigem Ermessen, wenn die wesentlichen Umstände des Falls abgewogen und die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigt worden sind. Maßgebend ist der Zeitpunkt, in dem der Arbeitgeber die Ermessensentscheidung zu treffen hat. Ob die Entscheidung der Billigkeit entspricht, unterliegt der vollen gerichtlichen Kontrolle, § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB
Bis hier hin: Sieht mau für den Kläger aus, den der Widerruf war
richtig geregelt und
richtig ausgeübt worden.
Letzte Chance: wenn die Ausübung des Widerrufsrechts mitbestimmungspflichtig war, führt die fehlende MB zur Unwirksamkeit!!!!
- Mitbestimmung als Wirksamkeitsvoraussetzung?
Nach der Rechtsprechung des Senats kann ein Arbeitnehmer bei einer unter Verstoß gegen das Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG vorgenommenen Änderung der im Betrieb geltenden Entlohnungsgrundsätze eine Vergütung auf der Grundlage der zuletzt mitbestimmungsgemäß eingeführten Entlohnungsgrundsätze fordern. Nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG hat der Betriebsrat in Fragen der betrieblichen Lohngestaltung, insbesondere bei der Aufstellung und Änderung von Entlohnungsgrundsätzen und der Einführung und Anwendung von neuen Entlohnungsmethoden sowie deren Änderung, mitzubestimmen
Bei einer Absenkung der Vergütung hat er– weil keine tarifliche Vergütungsordnung das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 BetrVG ausschließt – die bisher geltenden Entlohnungsgrundsätze auch bezüglich des verbleibenden Vergütungsvolumens zu beachten und im Falle ihrer Änderung die Zustimmung des Betriebsrats einzuholen.
Die Vergütungsstruktur wird daher in der Regel geändert, wenn nur einer der mehreren Bestandteile, aus denen sich die Gesamtvergütung zusammensetzt, gestrichen, erhöht oder vermindert wird. Dabei ist es für die betriebliche Vergütungsstruktur ohne Bedeutung, ob bestimmte Vergütungsbestandteile individualrechtlich widerruflich ausgestaltet sind oder nicht. ABER: hier wurde keine Mitbestimmung gesehen, weil die Einführung des Systems schon ohne MB erfolgte. WAS??? Jura-logisch mag das richtig sein:
Mitbestimmungswidrige Einführung schließt Mitbestimmung bei Ausübung aus??? Das spielt doch dem Rechtsbruch in die Hände und nimmt den Mitarbeitern einfach so das Geld. Damit wäre doch i.E. jede Folgeänderung der mitbestimmungswidrigen Regelung dauerhaft mitbestimmungsfrei??? Toll gemacht, Ihr Lehrbuchfredels…..
Standortsicherungsvereinbarung – Wort is Wort II LAG Köln – 8 TaBV 32/17
Möchte der Arbeitgeber eine Betriebsänderung gem. § 111 BetrVG durchführen –hier eine Betriebsschließung, muss er zunächst mit dem BR einen sog. Interessenausgleich abschließen oder mangels einvernehmlichen Abschlusses diesen über die Einigungsstelle versuchen. DANN kann er umsetzen!!! Der Arbeitgeber ist ein Hersteller von Pumpen und Pumpsystemen. Das Unternehmen entschied, seinen in Lohmar ansässigen Betrieb mit rund 180 Arbeitnehmern im Jahr 2017 zu schließen. Mit diesem Ziel forderte das Unternehmen den örtlichen Betriebsrat auf, über einen Interessenausgleich für die Betriebsschließung zu verhandeln (§§ 111-112a Betriebsverfassungsgesetz – BetrVG).
Der Betriebsrat lehnte dies ab und verwies auf eine im Jahr 2014 geschlossene Standortsicherungsvereinbarung. Darin wurde vereinbart, den Betrieb nicht vor dem 31.12.2019 stillzulegen.
Das Unternehmen beantragte daraufhin beim Arbeitsgericht eine Einigungsstelle (§ 76 BetrVG) einsetzen, um über den Interessenausgleich für die geplante Betriebsschließung zu verhandeln.
GEHT NICHT:
Verpflichtet sich der Arbeitgeber in einer Standortsicherungsvereinbarung, den Betrieb für eine bestimmte Zeit fortzuführen, ist er daran gebunden. Will das Unternehmen den Betrieb vereinbarungswidrig doch vor diesem Datum schließen, muss der Betriebsrat nicht über einen Interessenausgleich verhandeln.
Die Standortsicherungsvereinbarung schließe es aus, den Betrieb vor dem 31.12.2019 stillzulegen. Daher sei die Einigungsstelle offensichtlich nicht zuständig, über die sozialen Folgen einer früheren Schließung zu verhandeln. In solch einem Fall entscheidet das Gericht, die vom Arbeitgeber beantragte Einigungsstelle nicht einzusetzen, weil sie offensichtlich unzuständig wäre, vgl. § 100 Abs. 1 Satz 2 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG).
ALSO: Vertrag ist Vertrag!! Keine Verhandlung vor Ablauf der Standortvereinbarung!
Das ist nicht Dein Ernst? Freistellung, weil KBR? LAG Berlin-Brandenburg 9 TaBV 577/16
Ein Konzernbetriebsrat hat kein eigenes Recht auf eine pauschale Freistellung seiner Mitglieder von der Arbeitszeit. Soweit die Tätigkeit für den Konzernbetriebsrat dies erfordert, kann dies einen Grund für weitere Freistellungen durch den örtlichen Betriebsrat darstellen.
Es um einen Freistellunganspruch für den Konzernbetriebsratsvorsitzenden in Höhe von 50 % seiner Arbeitszeit. Das BetrVG sieht für Konzern- und Gesamtbetriebsratsvorsitzende keinen eigenen Freistellunganspruch vor. Genauer lesen hilft: Gemäß § 59 Abs. 1 BetrVG findet § 38 BetrVG auf den Konzernbetriebsrat keine Anwendung. Allerdings könnte ein Anspruch des örtlichen Betriebsrats auf – ggf. zusätzliche – Freistellungen bestehen. soweit dies aufgrund der für den Konzernbetriebsrat anfallenden Aufgaben erforderlich ist (Aha: schon wider Erforderlichkeit!!). Über die in § 38 BetrVG genannte Staffel hinaus können Ansprüche auf Freistellungen bestehen. Denn § 38 BetrVG legt nur eine automatische Mindestanzahl an Freistellungen fest, Wenn mehr Aufgaben anfallen, besteht im Falle dauerhaft anfallender Aufgaben soweit erforderlich über die Mindestfreistellungen hinaus ein Anspruch auf weitere Freistellungen. So kann die Arbeitsbelastung der/des freigestellten Betriebsratsvorsitzenden oder eines anderen Mitglieds durch dessen / deren Funktion als Vorsitzender des BR, des Gesamtbetriebsrats oder Ausschussarbeit die Notwendigkeit der (teilweisen) Arbeitsbefreiung eines weiteren Betriebsratsmitglieds begründen.
Eine Vielzahl von Aufgaben kann weitere Freistellungen rechtfertigen bzw. in die Bewertung einfließen, ob eine Belastung vorliegt, die zusätzliche pauschale Freistellungen rechtfertigt. Die Entscheidung darüber, welches Mitglied des örtlichen Betriebsrats dann aufgrund welcher Verteilung der Aufgaben über die Mindeststaffel hinaus freizustellen ist, obliegt dem örtlichen Betriebsrat.
Soll ich´s mir aus den Rippen schneiden – Umfang der Vorlagepflicht im Rahmen von § 99 BetrVG – Beschränkung auf dem AG vorliegende Unterlagen
ArbG München – 12 BV 394/16 –
Im entschiedenen Rechtsstreit ging es um die Frage, ob die Unterrichtung des Betriebsrats zur Einstellung zweier Mitarbeiterinnen ordnungsgemäß war, obwohl der Arbeitgeber dem Betriebsrat für die zwei Bewerberinnen keine Scientology-Schutzerklärungen vorlegte. Der Arbeitgeber konnte diese nicht vorlegen, weil diese im Rahmen des Einstellungsverfahrens nach der damaligen – heute geänderten – Praxis von den Bewerberinnen nicht verlangt worden waren.
Das Arbeitsgericht ist der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gefolgt, nach der der Arbeitgeber bei geplanten Einstellungen dem Betriebsrat nur solche Unterlagen vorzulegen hat, die beim Arbeitgeber vorhanden sind. Daher wurde dem Antrag des Arbeitgebers stattgegeben. Über die Frage, ob der Arbeitgeber verpflichtet ist oder war, von Bewerbern Scientology- Schutzerklärungen zu verlangen, war nach Ansicht der Kammer nicht zu entscheiden.
Unterlagen, über die der AG nicht verfügt, braucht er dem Betriebsrat im Rahmen der Anhörung nach § 99 BetrVG nicht vorzulegen.
Da ist er mal wieder: der Unterschied von „das ist nicht richtig / finde ich nicht gut / passt nicht in meinen Wertekanon UND Jura.
Natürlich kannst Du etwas nicht richtig finden und das in Deiner Macht stehende dagegen tun. Nur musst Du damit rechnen, dass Dein Empfinden nicht den Rechtssegen findet. Wahrscheinlich war der BR sauer, weil bisher immer dieser „Quatsch gemacht wurde“ und nun einfach nicht mehr. Na was soll das denn? Seine Entscheidung, also konsequent bewertet, führt dazu, dass es künftig eben keine Unterlagen mehr vorzulegen gibt. Richtig entschieden, sorry. Man könnte sich fragen, ob die Änderung der Einstellungspraxis eine Änderung einer Auswahlrichtlinie darstellt…. Aber ob dem so ist… Generell muss sich der BR Gedanken machen, er gerade bei 99 „richtig unterwegs“ ist. Hier fällt voll oft dir Vorstellung von richtig und Recht auseinander. Und bei genauem Lesen der Verweigerungsgründe des 99 fällt auf: Recht ist nicht immer richtig. Oder viele richtige Gründe fehlen hier im Recht…. so isset
Ja, Nein, Ja, Nein, weiß nicht oder / und „kommt drauf` an“ – ein kleines Sammelsurium zur Außerordentlichen Kündigung (AOK)
Really? Ja, es gibt sie echt selten, diese absoluten klaren Gründe FÜR oder WIDER die außerordentliche Kündigung. Denn es kommt tatsächlich darauf an. Umstände, Vorgeschichte und nicht zuletzt: (logisch) wie ist der Entscheider drauf! Really, really? Ja, was denn sonst? Jura is nicht Mathe – sonst könnt´ ich das ja auch nicht ;-). Und die Begrifflichkeit „wichtiger Grund“, die den Weg in die AOK ebnet, lässt Raum, viel Raum für die Bewertung „na ja, bis boah schlimm ey“. Also Abmahnung bis Tüss. Ich habe für mich mal rausgefunden, dass mir die Betrachtung hilft: Jeder hat seinen eigenen „moralischen Kompass“, und was dem einen hinnehmbar erscheint, ist für den anderen bereist unerträglich. Mit dieser Wertung bleibt es leider bei dem Satz: „Vor Gericht und auf hoher See in Gottes Hand. Hallali….
LAG Düsseldorf – 11 Sa 823/16 –
Bedroht ein Sachbearbeiter des Landeskriminalamtes (witzig, gell: MITARBEITER DES LANDESKRIMINALAMTS!!) seinen Vorgesetzten mit den Worten „Ich stech dich ab“, so ist dem Land seine Weiterbeschäftigung nicht weiter zumutbar. Aufgrund der Schwere der Pflichtverletzung ist eine vorherige Abmahnung entbehrlich. Dies gilt selbst dann, wenn die Äußerung aufgrund ggf. eingeschränkter Steuerungsfähigkeit zum Tatzeitpunkt schuldlos erfolgt sein sollte.
LAG Düsseldorf – 5 Sa 869/16 –
Darf ein AN unter Nutzung arbeitgeberseitiger Ressourcen Nebentätigkeiten ausüben und macht er von dieser Möglichkeit zwar in sehr großem Umfang, aber offen und transparent, Gebrauch, so ist eine aus diesem Grund ausgesprochene außerordentliche Kündigung ohne vorherige Abmahnung unwirksam.
LAG Hamburg- 5 Sa 19/16 – Leitsatz
Das beharrliche Überschreiten der zulässigen Zahl von Minusstunden kann ein wichtiger Grund an sich für eine fristlose Kündigung eines ordentlich nicht mehr kündbaren Angestellten sein. Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses wird dann auch im Rahmen der Interessenabwägung nicht mehr verhindert, wenn sich dieser Vertragsverstoß als Glied in einer Reihe weiterer Vertragsverstöße darstellt und Abmahnungen vorliegen, die Verstöße gegen Arbeitszeitbestimmungen rügen.
ArbG Siegburg, Beschluss vom 3.5.2017 – Pressemitteilung Nr. 1/2017
Das zweimalige Hinlegen im Pausenraum einige Minuten vor Pausenende rechtfertigt bei einem seit über 20 Jahre bestehenden Arbeitsverhältnis keine außerordentliche Kündigung. Diese steht in einem solchen Fall außer Verhältnis zur Schwere der Pflichtverletzung. Nicht jede Nichteinhaltung der Pausenzeit stellt einen Arbeitszeitbetrug dar.
Die Matratze und das Arbeitsrecht oder: Trockenpflaume und Kohlenhydrate sind „hilfreich“.
Immer wenn es um die rechtliche Bewertung einer Fragestellung aus dem täglichen (Arbeits-) Rechtsleben geht, kann es sehr gut sein, dass die endgültige Bewertung durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg erfolgt.
Warum? Einfach: wenn die rechtliche Fragestellung auf Europäischen Recht beruht, also weil die EU dazu eine Richtlinie (RL) erlassen hat, die der nationale Gesetzgeber (hoffentlich richtig) umgesetzt hat, kann der EuGH drauf hin befragt werden, ob denn im Mitgliedsstaat richtig umgesetzt oder angewendet wird.
Das gilt vor allem für Gerichtsentscheidungen: das dt Gericht kann dem EuGH konkret eine Frage nach der „richtigen“ Entscheidung vorlegen.
Im Arbeitsrecht kennen wir das vor allem für Fragen zu den Themen Betriebsübergang („was ist ein Betrieb im Sinne der RL; was ist ein Teilbetrieb; was, wenn der Betrieb kaum über Betriebsmittel verfügt?“) und Gleichbehandlung („Können Ältere oder Jüngere bei Abfindung, Rente, Berufszugang anders behandelt werden?“).
Und nun – wir wissen, dass u.a. auch die Gurkenkrümmung und die Verastung des Astes ein EU-Thema ist – gehts um den Verbraucherschutz. „Kann auch bei einer im Internet gekauften Matratze ein Widerrufsrecht ausgeübt worden, obwohl die Schutzfolie entfernt wurde?“.
Das dt. Recht schließt den Widerruf aus hygienischen Gründen aus, wenn die Versiegelung entfernt wurde. Nun sind die Richter des dt. Bundesgerichtshof unsicher: sie werden die Frage wohl dem EuGH vorlegen: „Ist der Ausschluss eines Widerrufsrecht in Deutschland mit der RL zum Europäischen Verbraucherschutz vereinbar“.
Wer´s nachverfolgen mag: Az. VIII ZR 194/16
Auch klasse: die EU-HEalth-Claim-Verordnung, in der gelistet ist, welche gesundheitsbezogenen Aussagen erlaubt sind wie etwa: „trägt zur normalen Darmfunktion bei (Trockenpflaume)“ oder „dient der Aufrechterhaltung der normalen Gehirnfunktion“ (Kohlenhydrate).
https://de.wikipedia.org/wiki/Verordnung_(EG)_Nr._1924/2006_(Health_Claims)
Good Night & Good Luck
Ihr / Euer
Dr. Stephan Grundmann