Willkommen in der wunderbaren Welt der Leistungsträger oder das Peter-Prinzip; Pfiffiger Beweissicherer oder Depp? LAG Hessen – 6 Sa 137/17; Same day delivery und Arbeitsrecht – Wasser auf die ver.di Mühle Verwaltungsgericht Düsseldorf 29 K 8347/15 – Die frechen Ickes zweifeln am BAG oder „Duldung = Bezahlung“ LAG Berlin-Brandenburg -15 Sa 66/17 – Die üble alte Bezugnahme und deren Neufassung – BAG– 4 AZR 867/16 – LAG München 11 TaBV 36/17 – Sag Bescheid, wenn was im Anmarsch ist! Mitteilungspflichten des Arbeitgebers – Nicht über den Tellerrand! Der Blick in die Gehaltslisten des gesamten Unternehmens? BAG – 1 ABR 27/16 – „Komm ich zeig Dir wie groß meine Liebe ist und bringe mich für Dich um“ Drohung mit Selbstmord kann „wichtigen Grund“ für außerordentliche Kündigung darstellen – BAG – 2 AZR 47/16 – Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen – 15 E 830/17, 15 E 831/17 – Bahn frei für Pipi-Man oder was Gelsenkirchener Anwälte so alles erklagen wollen – Was ist mit dem denn nicht in Ordnung??? Oder: der Kinder-Hater – Amtsgericht München – 485 C 12677/17 WEG
Willkommen in der wunderbaren Welt der Leistungsträger oder das Peter-Prinzip – Betriebsratswahl und der Marmorkrebs
Das Peter Prinzip, benannt nach dem Wissenschaftler Laurence J. Peter. Peters These ist, dass jedes Mitglied einer Hierarchie so lange befördert wird, bis es das Maß seiner absoluten Unfähigkeit erreicht hat, was in der Regel das persönliche Maximum der Karriereleiter markiert und weitere Beförderungen ausbleiben lässt. Peter: „Nach einer gewissen Zeit wird jede Position von einem Mitarbeiter besetzt, der unfähig ist, seine Aufgabe zu erfüllen.“
Die einzige Einschränkung ist, dass die Hierarchie hoch genug sein, sprich: genügend Hierarchie-Stufen enthalten muss. In dem Buch von Peter und Hull werden viele Beispiele für Hierarchien in Wirtschaft und Verwaltung sowie die Unfähigkeit der dort Beschäftigten beschrieben.
Sehr empfehlenswert in diesem Zusammenhang: Das Dilbert-Prinzip als satirische Abwandlung des Peter-Prinzips. Nach dem Dilbert-Prinzip werden die unfähigsten Arbeiter systematisch ins Management versetzt, weil sie dort vermeintlich den geringsten Schaden anrichten. Dadurch verfügt die Person im Management weder über die notwendigen sozialen Kompetenzen eines Managers noch über die für den geführten Bereich notwendigen fachlichen Kenntnisse. Unfassbar, wie die Dilbert-Comics mein tägliches Verhandlungsumfeld abbilden;-).
Marmorkrebs? Jetzt geht sie los, die Kandidatenhatz. Wer jetzt noch keinen gefunden hat, der wird einsam bleiben (ganz frei nach Rilke).
Da hilft evtl. das Kopieren des Fortpflanzungsverhaltens von Procambarus virginalis: Parthenogenese als Geheimtip zur wundersamen eigenständigen Kandidatenvermehrung! Der Krebs spielt sich selbst seine Befruchtung vor. Da braucht´s kein Männchen. Damit wären zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen:
- die Geschlechterquote wird erstens im damenarmen Betrieb mal locker ins Gegenteil verkehrt und
- zweitens habe ich massenhaft Kandidaten (Vermehrung im Zwölf-Wochen-Rhythmus mit jeweils 500 neuen Kandidaten).
Ihr müsst nur anfangen. Wo liegt das Problem: Parthenogenese kann man nicht lernen – Bayer und Amazon arbeiten noch dran. Und – noch schlimmer – wir bekommen die sechs Monate Betriebszugehörigkeit für die WÄHLBARKEIT nicht mehr hin. Ansonsten wäre es das Mittel um schnelle willfährige Listenmitglieder zu bekommen. Jetzt ernsthaft: gebt Gas und erklärt den Unwissenden, wie wichtig der BR ist. Einfachstes und hilfreichstes Beispiel: Sozialpläne und damit Abfindungen sind nur in Betrieben mit Betriebsrat erzwingbar. Sonst musst Du auf ein Geschenk hoffen…..
„Vorwärts immer, rückwärts nimmer“,
Angela Merkel 😉
Pfiffiger Beweissicherer oder Depp? LAG Hessen – 6 Sa 137/17
Dem Arbeitnehmer wurde vorgeworfen, er habe Kollegen beleidigt und eine Kollegin verbal bedroht. Er wurde deshalb zu einem Personalgespräch eingeladen. Bereits Monate zuvor hatte er in einer E-Mail an Vorgesetzte einen Teil seiner Kollegen als „Low Performer“ und „faule Mistkäfer“ bezeichnet und war deshalb abgemahnt worden.
Die Arbeitgeberin erfuhr einige Monate nach dem Personalgespräch durch eine E-Mail des Arbeitnehmers von der heimlichen Aufnahme und sprach deshalb eine fristlose außerordentliche Kündigung aus. Der Arbeitnehmer hat im Kündigungsrechtsstreit geltend gemacht, er habe nicht gewusst, dass eine Ton-Aufnahme verboten war. Sein Handy habe während des Gesprächs offen auf dem Tisch gelegen.
Das LAG hat ebenso wie das Arbeitsgericht Frankfurt am Main die Kündigungsschutzklage abgewiesen. Der Arbeitgeber war berechtigt, das Arbeitsverhältnis fristlos zu kündigen. Dabei komme es nicht entscheidend auf die strafrechtliche Würdigung an. Naheliegend war hier eine Verwirklichung des § 201 StGB (Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes). Maßgebend sei die mit diesem Verhalten verbundene Verletzung der dem Arbeitnehmer nach § 241 Abs. 2 BGB obliegenden Pflicht zur Rücksichtnahme auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers. Das heimliche Mitschneiden des Gesprächs durch den Arbeitnehmer sei rechtswidrig, weil aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht auch das durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 2 GG gewährleistete Recht auf die Wahrung der Unbefangenheit des gesprochenen Wortes folge. Das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG schütze auch Rechtspositionen, die für die Entfaltung der Persönlichkeit notwendig sind. Dazu gehört in bestimmten Grenzen, ebenso wie das Recht am eigenen Bild, das Recht am gesprochenen Wort. Deshalb dürfe grundsätzlich jedermann selbst und allein bestimmen, wer sein Wort aufnehmen soll sowie ob und von wem seine auf einen Tonträger aufgenommene Stimme wieder abgespielt werden darf. Bei jeder fristlosen Kündigung sind die Interessen des Arbeitnehmers und des Arbeitgebers im Einzelfall zu prüfen. Trotz der langen Betriebszugehörigkeit des Klägers von 25 Jahren überwogen nach Auffassung des Gerichts die Interessen des Arbeitgebers. Der Arbeitnehmer hätte darauf hinweisen müssen, dass die Aufnahmefunktion aktiviert war, die Heimlichkeit sei nicht zu rechtfertigen.
Das Arbeitsverhältnis sei außerdem schon durch die E-Mail beeinträchtigt gewesen, mit der Kollegen beleidigt worden waren.
Same day delivery und Arbeitsrecht – Wasser auf die ver.di Mühle Verwaltungsgericht Düsseldorf 29 K 8347/15 – aber Ärger in Berlin – OVG
Amazon war durch die Bezirksregierung Düsseldorf der Einsatz der Arbeitskräfte an zwei Adventsonntagen nach dem Arbeitszeitgesetz erlaubt worden. Hiergegen hatte die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di Klage erhoben.
Das Verwaltungsgericht Düsseldorf gab der Klage statt. Für das Gericht sei nicht erkennbar, dass Amazon ohne Bewilligung der Sonntagsarbeit ein so großer Schaden entstanden wäre, dass dieser das Interesse am Erhalt der Sonntagsruhe hätte überwiegen können. Zur Begründung führte das Gericht im Wesentlichen weiter aus, dass es zweifelhaft sei, ob das üblicherweise auftragsstarke Weihnachtsgeschäft eine vom Normalzustand abweichende Sondersituation darstelle, die eine Sonntagsarbeit ausnahmsweise rechtfertigen könne. Jedenfalls habe Amazon nicht zur Überzeugung des Gerichts nachgewiesen, dass ihr ohne die Sonntagsarbeit ein unverhältnismäßiger Schaden drohe, der mit anderen zumutbaren Mitteln nicht hätte verhindert oder gemildert werden können. Vielmehr habe Amazon durch das Festhalten an eng bemessenen Lieferfristen und die Abgabe eines „Same-Day-Delivery“-Versprechens auch im Weihnachtsgeschäft die Erwartungshaltung ihrer Kunden und den dadurch entstandenen Lieferdruck selbst herbeigeführt. Sie habe es damit versäumt, dem Schutz der Sonn- und Feiertagsruhe durch eine entsprechende Ausgestaltung ihres Geschäftsmodells in der Vorweihnachtszeit hinreichend Rechnung zu tragen.
Daher war die der Amazon Fulfillment Germany GmbH in Rheinberg erteilte Bewilligung, Arbeitnehmer an den Adventssonntagen des 13. und 20. Dezember ausnahmsweise zu beschäftigen, rechtswidrig und die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di in ihrem Grundrecht auf Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit verletzt. Dagegen gab´s in Berlin auf die Ohren. Zur Grünen Woche, ITB und Berlinale gabs´ vom Oberverwaltungsgericht eiskalt eine Genehmigung für Sonn- und Feiertage – gegen die erste Instanz übrigens.
Die frechen Ickes zweifeln am BAG oder „Duldung = Bezahlung“ LAG Berlin-Brandenburg -15 Sa 66/17 –
Die Beklagte betreibt ein größeres Fuhrunternehmen. Der Kläger war vom 9.6.2015 bis zum 15.7.2016 bei der Beklagten als Leiter Technik/Fuhrpark beschäftigt. Im Arbeitsvertrag war u.a. geregelt, dass die geleisteten Überstunden innerhalb von zwölf Kalendermonaten entweder durch bezahlte Freistellung oder aber durch Zahlung des Mindestlohns nach dem Mindestlohngesetz ausgeglichen werden. In den ersten drei Wochen des Arbeitsverhältnisses wurde die Arbeitszeit automatisch mit einem Chip erfasst.
Der Kläger kündigte sein Arbeitsverhältnis schließlich zum 15.7.2016 und verlangte die Bezahlung seiner Überstunden. Da die Beklagte dem nicht nachkam, erhob er Klage auf Zahlung von 4.549,62 Euro für 535,25 geleistete Überstunden auf Basis einer 45-Stundenwoche. Er reichte dazu eine Auflistung der einzelnen Arbeitstage mit Arbeitsbeginn und Arbeitsende ein. Die Klage hatte vor dem Arbeitsgericht keinen Erfolg. Die dagegen eingelegte Berufung des Klägers hatte vor dem LAG ganz überwiegenden Erfolg.
Der Kläger hat einen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung von 4.498,63 Euro wegen 529,25 (anstatt 535,25) geleisteter Überstunden.
Nach ständiger BAG-Rechtsprechung reicht es bei Überstundenklagen des Arbeitnehmers auf der ersten Stufe aus, wenn dieser für jeden Tag im Einzelnen darlegt, von wann bis wann er gearbeitet hat. Dies hat der Kläger im vorliegenden Fall getan. In einem zweiten Schritt muss der Arbeitnehmer angeben, inwiefern der Arbeitgeber die Leistung von Überstunden veranlasst hat oder diese ihm zumindest zuzurechnen sind. Die geleisteten Überstunden müssen dazu angeordnet, gebilligt, geduldet oder jedenfalls zur Erledigung der geschuldeten Arbeit erforderlich gewesen sein. Eine Duldung der Überstunden wird für den Fall angenommen, dass der Arbeitgeber in Kenntnis der Überstunden diese hinnimmt und nichts unternimmt, um diese künftig zu unterbinden.
Da in Deutschland fast 50 Prozent der geleisteten Überstunden weder bezahlt noch durch Freizeit ausgeglichen werden, bestehen Zweifel, ob dieser rigiden Rechtsprechung des BAG bezüglich des zweiten Schritts der Darlegung der Zurechnung der Überstunden zum Arbeitgeber zu folgen ist, denn der Arbeitgeber ist regelmäßig „Herr im eigenen Betrieb“. Setzt er seine Betriebsorganisation nicht dazu ein, Überstunden zu vermeiden, dann gibt er zu erkennen, dass es ihm egal ist.
Diese Zweifel können jedoch dahinstehen, denn auch nach den entwickelten Grundsätzen des BAG kann der Kläger im Streitfall die Bezahlung der Überstunden verlangen. Im vorliegenden Fall liegt eine arbeitsvertragliche Überstundenvergütungsregelung vor. Daher kommt § 612 BGB nicht zur Anwendung und die Frage, ob der Kläger die Vergütung erwarten durfte, stellt sich nicht. Dieser arbeitsvertragliche geregelte Anspruch wird auch nicht dadurch gegenstandlos, dass – wie im Streitfall wie von der Beklagten behauptet – alle Führungskräfte unbezahlte Mehrarbeit leisteten, denn die Hinnahme eines rechtswidrigen Zustands anderer Arbeitnehmer, wirkt sich nicht auf den einzelnen eigenen Anspruch aus.
Im Gegensatz zur Auffassung des Arbeitsgerichts hat die Beklagte die Überstundenleistung auch geduldet. Allein aus der Behauptung der Beklagten, alle Führungskräfte leisteten bei ihr Mehrarbeit, ergibt sich die Kenntnis der Beklagten über die Mehrarbeit.
Die üble alte Bezugnahme und deren Neufassung – BAG– 4 AZR 867/16 –
Macht ein tarifgebundener Arbeitgeber in einer von ihm formulierten Bezugnahmeklausel die Anwendbarkeit tariflicher Bestimmungen ausdrücklich davon abhängig, dass diese für ihn „verbindlich“ sind, bringt er damit in der Regel mit hinreichender Deutlichkeit zum Ausdruck, dass mit der Klausel nur die Gleichstellung nicht tarifgebundener Arbeitnehmer mit Gewerkschaftsmitgliedern bezweckt wird.
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte in einer aktuell veröffentlichten Entscheidung über die Reichweite einer sog. Bezugnahmeklausel im Arbeitsvertrag, die auf in Tarifverträgen geregelte Arbeitsbedingungen verwies, zu entscheiden.
Bezugnahmeklauseln in Arbeitsverträgen haben den Zweck, umfangreiche Arbeitsbedingungen (vor allem eben aus Tarifverträgen) durch eine kurze arbeitsvertragliche Formulierung für das Arbeitsverhältnis zur Anwendung zu bringen. Je nach Formulierung und Auslegung können Bezugnahmeklauseln unterschiedliche Folgen auslösen. So wird u. a. zwischen einer sog. statischen und einer sog. dynamischen Bezugnahme unterschieden: Bei einer sog. statischen Bezugnahme wird nur auf (bestimmte) Tarifverträge – „Es gilt der MTV IGBCE in der Fassung vom 2.1.2016“ in einer zu einem konkreten Zeitpunkt geltenden Fassung verwiesen.
Eine sog. dynamische Bezugnahmeklausel „Es gilt der jeweilige Tarifvertrag der IGBCE“ – soll die jeweils aktuell gültige Fassung und somit auch künftige Tarifänderungen erfassen. Welche Folge hat die letzter Formulierung – „jeweilige“ -, wenn der Tarifvertrag aufgrund Austritt des Arbeitgebers, Abspaltung oder Betriebsübergang nicht mehr gilt?
Die frühere Rechtsprechung des BAG wandte die Vermutungsregel an, dass solche in vorformulierten Arbeitsverträgen enthaltenen dynamischen Bezugnahmeklauseln regelmäßig als sog. Gleichstellungsabrede auszulegen waren, wenn der Arbeitgeber zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses tarifgebunden war und es sich um einschlägige Tarifverträge handelte. Damit war die Dynamik „raus“, sobald der TV nicht mehr kraft Tarifbindung zur Anwendung kam. Denn die Klausel – so recht frech das BAG – sei so gemeint, dass sie nur gelte, so lange eine Gleichstellung mit den echten Tariflern beabsichtigt sei. Und das sei doch nur der Fall, so lange die Bindung bestehe. Danach sei das mal einfach weg….
Diese Rechtsprechung hat das BAG für ab dem 1.1.2002 vereinbarte Bezugnahmeklauseln geändert. Eine solche Bezugnahmeklausel ist danach eine konstitutive (rechtsbegründende) Verweisungsklausel, die durch einen Verbandsaustritt des Arbeitgebers oder einen sonstigen Wegfall seiner Tarifgebundenheit nicht berührt wird („unbedingte zeitdynamische Verweisung”). Nur noch für vor dem 1.1.2002 vereinbarte Bezugnahmeklauseln, also sog. Altverträge, gilt noch die alte Rechtsprechung, es sei denn, die Klausel wurde nach dem 31.12.2001 geändert.
Im konkreten Fall machte die Arbeitnehmerin, die kein Gewerkschaftsmitglied war, unter Hinweis auf die in ihrem Arbeitsvertrag enthaltene Bezugnahmeklausel geltend, dass bestimmte Tarifverträge in ihren jeweiligen (und somit auch künftigen) Fassungen auf das Arbeitsverhältnis anzuwenden sein sollten – dynamische Bezugnahmeklausel. Konkret ging es um die im Jahr 1992 vereinbarte Klausel im Arbeitsvertrag: „Es gelten die Bestimmungen der für den Einsatzort einschlägigen Tarifverträge für die Beschäftigten im Einzelhandel – soweit sie für H verbindlich sind – sowie etwaige Betriebsvereinbarungen/-ordnungen in ihrer jeweils geltenden Fassung.“ Die Klausel ist durch Änderungsverträge aus den Jahren 2002 und 2006 nicht geändert worden. Die Änderungsverträge betrafen andere Arbeitsbedingungen. Am Ende der Änderungsverträge hieß es jeweils: „Alle übrigen Punkte behalten weiterhin ihre Gültigkeit.“ Hierauf gestützt verlangte die Arbeitnehmerin die sich mit jeder Fassung der Tarifverträge erhöhende Vergütung. Die ab dem Jahr 2013 vereinbarten Tarifänderungen und damit vor allem die Tariferhöhungen wurden der Arbeitnehmerin nicht gewährt.
Demgegenüber stellte sich die beklagte Arbeitgeberin auf den Standpunkt, dass die Tarifverträge nur noch statisch weitergalten. Die Arbeitsvertragsklausel aus dem Jahr 1992 zur Anwendung der Tarifverträge sei eine sog. Gleichstellungsabrede, die lediglich den Zweck hatte, Nicht-Gewerkschaftsmitglieder mit Gewerkschaftsmitgliedern gleichzustellen.
Was sagt das BAG: die Auslegungsgrundsätze bei Neuverträgen würden vorliegend zum Ergebnis führen, dass die Parteien eine ausdrückliche Gleichstellungsabrede vereinbart hätten. Dies sei auch bei Neuverträgen anzunehmen, wenn bereits im Wortlaut der Klausel mit hinreichender Deutlichkeit zum Ausdruck komme, dass die Anwendung der Tarifverträge von der Tarifbindung des Arbeitgebers abhängig sei. Im Wortlaut komme der Gleichstellungszweck jedenfalls dann ausreichend zum Ausdruck, wenn die einschlägigen Gesetzesvorschriften in die Bezugnahmeklausel aufgenommen würden. Mit dem Vorbehalt „soweit sie für den Arbeitgeber verbindlich sind“ mache die vorliegende Klausel die Tarifgebundenheit der Arbeitgeberin an den in Bezug genommenen Tarifvertrag in hinreichend erkennbarer Weise zur auflösenden Bedingung der Vereinbarung, auch wenn die Folgen der Beendigung der Tarifbindung in der Klausel nicht ausdrücklich beschrieben würden.
Und für die Anwendung der Zweifelsfallregelung des § 305c Abs. 2 BGB sei vorliegend kein Raum. Diese setze voraus, dass die Auslegung nach den einschlägigen Auslegungsregeln zu nicht behebbaren Zweifeln führe. Dies sei hier auch deshalb nicht der Fall, weil es an einer ernsthaft in Betracht kommenden anderen Bedeutung der Klausel fehle.
Somit kam das BAG im konkreten Fall zu dem Ergebnis, dass die von der Arbeitnehmerin erhobenen Ansprüche unbegründet sind. Die hinsichtlich der Dynamik der Bezugnahme auf die Tarifverträge vereinbarte auflösende Bedingung sei eingetreten.
Wir fassen mal zusammen:
- Der dynamische Verweis auf einen TV wird statisch, wenn die Klausel vor dem 1.1.2001 abgeschlossen wurde (ALTVERTRÄGE)
- Wurde die dynamische Klausel nach dem 1.1.2001 abgeschlossen, gilt der TV dynamisch weiter, auch wenn der Arbeitgeber ausgetreten ist.
- Für Altverträge gilt 1) nicht, wenn die alte Klausel nach dem 1.1.2001 geändert wurde. Das kann aber nicht sein, wenn die Klausel selber festhält: „soweit sie für den Arbeitgeber verbindlich sind“
Das sieht doch jeder Depp, dass man das als Bedingung aufgenommen hat….Aber: klagen macht klug und bringt auf jeden Fall Umsatz….!
LAG München 11 TaBV 36/17 – Sag Bescheid, wenn was im Anmarsch ist! Mitteilungspflichten des Arbeitgebers
Der Arbeitgeber führte im Jahr 2015 in seinem Betrieb eine neue Regelung ein: Teilt eine Arbeitnehmerin dem Arbeitgeber mit, schwanger zu sein, erhält sie eine schriftliche Belehrung vom Arbeitgeber. Darin führt der Arbeitgeber aus, den Betriebsrat über die Schwangerschaft unterrichten zu wollen, falls die Schwangere dem nicht innerhalb von zwei Wochen auf einem beigefügten Formular widersprechen sollte.
Der betroffene Betriebsrat meinte, sein Recht auf Unterrichtung könne nicht vom Widerspruch einer Arbeitnehmerin abhängig sein. Seine Aufgabe, über die Einhaltung von Gesundheits- und Arbeitsschutz sowie Unfallverhütung auch und gerade zu Gunsten Schwangerer im Betrieb zu wachen, könne der Betriebsrat nur erfüllen, wenn er über jede Schwangerschaft informiert werde. So auch das LAG München. Der Arbeitgeber muss den Betriebsrat über jede Schwangerschaft informieren, und zwar unabhängig von einem Widerspruch. Der Informationsanspruch des Betriebsrats ergebe sich aus § 80 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. mit Abs. 2 Satz 1 BetrVG. Insbesondere zur Überwachung der Einhaltung von Arbeitsschutzvorschriften sei dies erforderlich. Das Recht der Schwangeren auf informationelle Selbstbestimmung bestehe nur in Grenzen anderer, ebenso wichtiger Interessen, wie etwa Gesundheit und Aufgabenerfüllung des Betriebsrats. Auch das Bundesdatenschutzgesetz stehe dem nicht entgegen. Verboten sei darin nur, Daten an Dritte weiterzugeben.
Der Betriebsrat sei aber nicht Dritter, sondern Teil des Unternehmens.
Nicht über den Tellerrand! Der Blick in die Gehaltslisten des gesamten Unternehmens? BAG – 1 ABR 27/16
Die Arbeitgeberin betreibt ein Unternehmen mit insgesamt vier Betrieben. In jedem davon ist ein Betriebsrat gebildet. Der Betriebsrat einer der vier Betriebe hat einen Betriebsausschuss bestellt. Dieser verlangt vom Arbeitgeber Einsicht in die Listen über die Bruttolöhne und –gehälter sämtlicher Arbeitnehmer des Unternehmens.
Die Arbeitgeberin war lediglich bereit, Einsichtnahme in eine betriebsbezogene Bruttoentgeltliste zu gewähren. Vor Gericht verfolgte der Betriebsrat sein Begehren weiter.
Nach § 80 Abs. 2 Satz 2 Hs. 1 BetrVG sind dem Betriebsrat auf Verlangen jederzeit die zur Durchführung seiner Aufgaben erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen. In diesem Rahmen ist der Betriebsausschuss nach § 80 Abs. 2 Satz 2 Hs. 2 berechtigt, in die Listen über die Bruttolöhne und –gehälter Einblick zu nehmen.
Nach Ansicht des BAG sei die Arbeitgeberin aber nicht verpflichtet, dem Betriebsrat Einblick in eine unternehmensweite Liste über Bruttolöhne und –gehälter von Arbeitnehmern zu gewähren, die nicht dem von ihm repräsentierten Betrieb angehören. Das Einsichtsrecht nach § 80 Abs. 2 Satz 2 Hs. 2 BetrVG unterliege nämlich der allgemeinen Regelung des § 80 Abs. 2 Satz 2 Hs. 1 BetrVG und setze somit voraus, dass es zur Durchführung einer Aufgabe des Betriebsrats erforderlich sei. Die Aufgabe des Betriebsrates bestehe jedoch darin, auf die innerbetriebliche und nicht auf die überbetriebliche Lohngerechtigkeit hinzuwirken. Die Mitbestimmungs- und Überwachungsrechte des Betriebsrats seien auf den Betrieb begrenzt. Nichts Gegenteiliges folge aus dem Überwachungsrecht des Betriebsrats aus § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG (Überwachung der Gesetzeseinhaltung). Das bloße Ermitteln einer Rechtsgrundlage für mögliche Entgeltklagen einzelner Arbeitnehmer „ins Blaue hinein“ sei nicht Teil der Überwachungsbefugnisse nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG, da diese auf die Durchführung von Arbeitnehmerschutzregelungen gerichtet seien. Witzig: so dumm war die Idee nicht, denn das BAG widersprach damit den anderslautenden Entscheidungen der beiden Vorinstanzen.
„Komm ich zeig Dir wie groß meine Liebe ist und bringe mich für dich um“ Drohung mit Selbstmord kann „wichtigen Grund“ für außerordentliche Kündigung darstellen – BAG – 2 AZR 47/16
Die ernstliche und im Zustand freier Willensbetätigung abgegebene Drohung mit Selbstmord kann einen wichtigen Grund zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses bilden, wenn es dem Arbeitnehmer darum geht, mit der Drohung Druck auf den Arbeitgeber auszuüben, um bestimmte eigene Interessen oder Forderungen durchzusetzen.
Der 1973 geborene Kläger ist beim Land Hessen, ursprünglich in der Autobahnmeisterei R, beschäftigt. Nach längeren krankheitsbedingten Fehlzeiten, die er ua. auf Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit mit seinem Vorgesetzten und Arbeitskollegen zurückführte, wurde ihm von Mai 2008 bis Ende Dezember 2011 – mehrfach befristet und zu Fortbildungszwecken – eine Tätigkeit als Bauaufseher im Innendienst mit Dienstort F übertragen. Zu Beginn des Jahres 2012 wurde er zur Autobahnmeisterei E „umgesetzt“. Dort arbeitete er zwei Tage als Straßenwärter, bevor er erneut arbeitsunfähig erkrankte. Im Anschluss an eine stationäre psychosomatische Behandlung im Frühjahr 2013 wurde er als arbeitsunfähig für die Tätigkeit als Straßenwärter entlassen. Nach einer Untersuchung im Mai 2013 wurde aus arbeitsmedizinischer Sicht empfohlen, ihn nicht mehr als Straßenwärter einzusetzen. Anschließend verwahrte sich der Kläger gegen eine Beschäftigung als Straßenwärter in der Kolonne. Er erklärte, dass er wegen psychischer Belastungen keine weitere Beschäftigung in der Meisterei E wünsche. Am 24.7.2013 und am 20.8.2013 fanden sog. „bEM-Gespräche“ (84 II SGB IX, betriebliches Eingliederungsmanagement) statt. Letztere Unterredung wurde im Anschluss an eine Äußerung des Klägers, die von anderen Teilnehmern als Drohung mit Selbstmord und „Amok“ verstanden wurde, unterbrochen. Am 11.9.2013 kündigte das Land das Arbeitsverhältnis außerordentlich.
Die ernstliche Drohung des Arbeitnehmers mit Gefahren für Leib oder Leben des Arbeitgebers, von Vorgesetzten und/oder Arbeitskollegen, für die kein allgemeiner Rechtfertigungsgrund eingreift, stellt eine erhebliche Verletzung der Nebenpflicht des Arbeitnehmers aus § 241 Abs. 2 BGB dar, auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen. Eine solche Drohung kann eine fristlose Kündigung unabhängig davon rechtfertigen, ob der Arbeitnehmer den Arbeitgeber mittels ihrer zu einer bestimmten Handlung, Duldung oder Unterlassung bestimmen will. Allerdings kann eine solche Intention das Gewicht der Bedrohung weiter verstärken.
Das BAG hat den Rechtsstreit an das LAG zurückverwiesen, um diesem eine sachgerechte Interessenabwägung (§ 626 Abs. 1 BGB) zu ermöglichen, ob auch die Selbstmorddrohung ebenso bewertet werden kann.
Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen – 15 E 830/17, 15 E 831/17 –
Bahn frei für Pipi-Man oder was Gelsenkirchener Anwälte so alles erklagen wollen
Das Oberverwaltungsgericht hat entschieden, dass ein Bürger keinen Anspruch auf die Aufstellung öffentlicher Toiletten im Stadtgebiet hat. Es bestätigte damit eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen, das dem unter krankhaftem Harndrang leidenden Mann Prozesskostenhilfe für ein Klage- und ein Eilverfahren versagt hatte. Ach? Der Kläger des zugrunde liegenden Verfahrens, der die Kosten der Gerichtsverfahren nicht selbst aufbringen kann und deshalb Prozesskostenhilfe beantragt hatte, wollte die Stadt Essen verpflichten, auf den öffentlichen Plätzen im Stadtgebiet öffentliche, kostenfrei benutzbare Toiletten zu schaffen und kostenfreien Zugang zu vorhandenen Toiletten zu ermöglichen. Übergangsweise verlangte er im Eilverfahren die Aufstellung von Dixi-Toiletten. Schnappatmung!!!
Regelungen der Gemeindeordnung geben Bürgern keinen Anspruch auf Schaffung bestimmter gemeindlicher Einrichtungen. Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfahlen führte in seiner Entscheidungsbegründung aus, dass die Gewährung von Prozesskostenhilfe voraussetze, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg habe. Hieran fehle es. Ach, ach? Es gebe keine Rechtsvorschrift, auf deren Grundlage der Antragsteller die Aufstellung öffentlicher Toiletten von der Stadt verlangen könne. Die Regelungen der Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen gäben dem Bürger keinen Anspruch auf Schaffung bestimmter gemeindlicher Einrichtungen. Ein solcher Anspruch ergebe sich im konkreten Fall auch nicht ausnahmsweise aus den Grundrechten, insbesondere der Menschenwürde. Dem Antragsteller böten sich andere Möglichkeiten, seinen gesundheitlichen Einschränkungen zu begegnen, um sich in der Öffentlichkeit aufhalten zu können.
Dass nach der ordnungsbehördlichen Verordnung der Stadt Essen vom 15. Februar 2017 das Verrichten der Notdurft auf Verkehrsflächen und Anlagen der Stadt untersagt sei, führe ebenfalls nicht zu einem subjektiven Recht auf Errichtung öffentlicher Toiletten. Der Essener könne auch nicht den kostenfreien Zugang zu bereits vorhandenen Toiletten verlangen, weil der Staat individuell zurechenbare Leistungen der Daseinsvorsorge nicht kostenlos erbringen müsse.
Was ist mit dem denn nicht in Ordnung??? Oder: der Kinder-Hater – Amtsgericht München – 485 C 12677/17 WEG
Die Klägerin des zugrunde liegenden Streitfalls ist Eigentümerin einer von ihr an Dritte vermieteten Wohnung im 1. Obergeschoss des Hauses 1. Die Beklagten sind gemeinschaftlich Eigentümer einer Wohnung im Erdgeschoss des gegenüberliegenden Hauses 4. Zwischen Haus 1 und Haus 4 liegt ein großer Spielplatz. Laut Teilungserklärung ist die Nutzung der den einzelnen Eigentümern ausschließlich zugewiesenen Gartenanteilen nur als „Terrasse“ bzw. „Ziergarten“ gestattet. Die Beklagten haben in dem ihrem Sondernutzungsrecht unterliegenden Gartenanteil hinter einer Hecke ein nicht fest mit dem Boden verbundenes Trampolin mit einer Gesamthöhe von etwa 3 m aufgestellt. Die Klagepartei war der Meinung, dass ein „Ziergarten“ eine Fläche sei, die dahingehend kultiviert sei, dass sie ausschließlich schmücke und der optischen Erbauung diene. Das Trampolin werde als „schwarze Wand“ wahrgenommen und stelle damit außerdem eine ganz erhebliche optische Störung dar, die die Anlage „verschandele“. Der Ehemann der Klagepartei, der sie als ihr Rechtsanwalt vertritt, trug vor, dass er täglich an dem streitgegenständlichen Gartenanteil vorbeigehe und sich dabei von dem Trampolin gestört fühle, auch wenn sich ihr Mieter und die übrigen Bewohner der Anlage nicht von dem Trampolin gestört fühlen. Das Trampolin sei überflüssig, schließlich gebe es eine Spielfläche mit Spielgeräten, und stelle zudem eine unzulässige bauliche Veränderung dar.
Die Beklagten beriefen sich darauf, dass der Begriff „Ziergarten“ als Gegensatz zu dem Begriff „Nutzgarten“ zu sehen sei; letzterer diene vorrangig dem Anbau und der Verwertung von Nutzpflanzen, ersterer als Erholungs- und Spielfläche. Das Aufstellen eines Trampolins als Spiel- und Sportgerät bewege sich in diesem Rahmen. Es handele sich um die normale und übliche Nutzung eines Gartens in einer Wohnanlage für Familien. In der Anlage, die als besonders familienfreundlich beworben worden sei, würden viele Familien mit Kindern leben. Die Anlage sei um einen Kinderspielplatz als „Herzstück“ herum konzipiert worden. Das Trampolin werde in der kälteren Jahreszeit ohnehin abgebaut.
Das Gericht legte den Begriff des Ziergartens hingegen nicht dahingehend aus, dass damit auch eine Beschränkung auf das Anpflanzen „optisch erbaulicher“ und „schmückender“ Pflanzen verbunden sei und dass Kinder in dem Ziergarten nicht spielen dürften. Dürften Kinder in dem Bereich jedoch spielen, so gehöre hierzu auch das Aufstellen eines Spielgerätes. Denn es gehöre zu einem geordneten Zusammenleben von Miteigentümern, dass spielende Kinder anderer Miteigentümer beziehungsweise die Kinder von deren Mietern sowie auch größere Spielgeräte, soweit sie nicht übermäßig stören, hingenommen werden müssten. Die Anlage sei gerade im hier streitgegenständlichen Bereich geprägt von einem großen Kinderspielplatz, der auch in der „Blickachse“ zwischen der Einheit der Klagepartei und der Beklagtenpartei liege.
Das Trampolin erscheine zwar groß, aber nicht überdimensioniert, vor dem Trampolin seien überdies bereits Pflanzungen vorgenommen worden.
Lieber GOTT, danke, danke, danke dafür, dass ich nur Arbeitsrecht machen darf und keine rechtsschutzversicherten Lehrer vertreten muss 😉
Good Night und Good Luck
Ihr / Euer
Dr. Stephan Grundmann