Dr. Grundmann – Newsletter vom 27. Juli 2016

 

Ein AGG-Verstoß der EZB? Die Abschaffung der 500 Euro Scheine  UND die IG-Metall im Erklärungsrausch- Ne, Du nicht I – keine Abfindung bei (voller) Schwerbehindertenrente? BAG 1 AZR 938 / 13 – Da hat der Herr Anwalt sich ne´ falsche (unwirksame) Klausel ersonnen – BR-EXIT? – BAG 5 AZR 751/13 – WICHTIG für BEFRISTUNGEN: Befristung nach WissZeitVG – befristete Vertragsverlängerung auch noch nach Ende Laufzeit des zu verlängernden Vertrages möglich?  – BAG – 7 AZR 117/14 – Ne, Du nicht II (mehr) – „Windhundprinzip“ und Abfindungsausschluss – LAG Düsseldorf 14 Sa 1344/15
LAG Düsseldorf – Variable Vergütung unter Berücksichtigung von persönlicher Leistung und betriebswirtschaftlichem Gesamterfolg – Bonus nur Ausnahmsweise auf „Null“ festsetzbar – LAG München  3 Sa 985/15 –

Die betriebsverfassungsrechtliche Abmahnung – Arbeitsgericht Solingen – 3 BV 15/15 –

„Nicht auf MEINEM Parkplatz“ – die ver.di hat´s schwer – Arbeitsgericht Berlin – 41 Ca 15029/15 – Das kann Amazon dann aber doch nicht: Gangs of New York oder – Arbeitsgericht Gelsenkirchen – 3 GA 3/16 – It´s raining men- öh, nee women – geht das? Eine ausschließlich an Frauen gerichtete Stellenausschreibung –  ArbG Köln – 9 Ca 4843/15Tüss Geschichts(-Nazi)-Depp? – Veröffentlichung von Auschwitz-Foto auf Facebook und Kündigung – ArbG Mannheim – 6 Ca 190/15 – Urlaubsgeld im Sinkflug

Ein AGG-Verstoß der EZB? Die Abschaffung der 500 Euro Scheine  UND die IG-Metall im Erklärungsrausch

Ältere, betuchte Mitbürger denken heftig über eine Klage gegen die Europäische Zentralbank nach. Der 500´er  wird abgeschafft. Ältere Mitbürger sehen darin einen massiven Verstoß gegen das AGG. Wie sollen künftig größere Einkäufe ohne Hüft- und Rückenschäden mit dem Geld in der Alditüte abgewickelt werden können? Man stelle sich vor, man wolle die neue Immobilie auf Sylt bar bezahlen. Selbst wenn es nur 100qm sind: bei einem Quadratmeterpreis von 14tsd Euro kommen wir bei 500´ern auf ein Gewicht von knapp 3,3 KG bei 1,5 Millionen, in 50´ern macht das aber schon 33 KG aus. Ähnlich gewichtig wäre ein Kauf am Tegernesee. Evtl. argumentiert die EZB ja damit, dass da ohnehin alles verkauft sei und man beim trendigen Rügen schon im Mittel mit 7tsd pro Quadratmeter auskommt (= 16,5kg). Denkbar wäre es auch die Summe auf zwei Tüten für ausgewogenes Tragen zu verteilen oder einen Mindestlohnempfänger (einen „Milog“) als Trageknecht zu bezahlen. Ach ja: die Schweiz bietet weiter 1000 Franken-Scheine an. Was ja dann auch den Geldsackträger entlastet und nicht den Betriebsrat wegen Verletzung des Arbeitsschutzes durch übermäßiges „Geldsacktragen“ auf den Plan ruft.

Klagen wird dann wohl auch die IGBCE (traditionell dem Plastik verschrieben), wenn sich die IGM demnächst nicht nur die Playmobil-Figuren, sondern auch die Starwars-Legoedition greift. Echt jetzt: die IGM hat den Playmobil-Hersteller zu Tarifverhandlungen aufgefordert, nachdem dieser erklärt hatte, man wolle dem Arbeitgeberverband der Kunststoff verarbeitenden Industrie beitreten. Nein, das geht: „wir sind der richtige Ansprechpartner auf der Arbeitnehmerseite“, sagt der IG-Metall Bezirksleiter. Argument? „In der Spielwarenindustrie gelten in der Regel Tarifverträge der IGM“. Hä? Milky-Way is ja auch voll gesund: „Der schwimmt sogar im Milch“. Evtl kann man ja historisch erklären. Es gab ja mal Zinnsoldaten. Und Zinn ist unstreitig ein Metall. https://de.wikipedia.org/wiki/Zinn

Auf der anderen Seite ist aber die Phase der Kriegsspiele gegessen, womit an sich in Anlehnung von „Schwertern zu…“ gelten müsste: „Zinnlandser zu Plastikzivilisten“. Aber auf die Idee soll die IGBCE kommen.

Ne, Du nicht I – keine Abfindung bei (voller) Schwerbehindertenrente? BAG 1 AZR 938 / 13

Der Sozialplan – ohnehin grauenvoll schlecht mit Abfindungsfaktoren von 0,4 (bis Lebensalter 45) bis 0,55 (vom Lebensalter 51 an) – schloss Mitarbeiter von Abfindungen aus, „die zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses Anspruch auf eine gesetzliche Vollrente wegen Alters oder wegen voller, unbefristeter Erwerbsminderung haben“. Schwerbehinderte Rentenberechtigte sollten immerhin 10.000,-€ erhalten.

Der Kläger begehrte die Abfindung ohne Einschränkung und obsiegte nun auch vor dem BAG, welches die Beschränkung für Schwerbehinderte als Verstoß gegen das betriebsverfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgebot (§ 75 BetrVG) ansah. Das Benachteiligungsverbot des § 75 BetrVG verbietet Vereinbarungen, durch die Arbeitnehmer aufgrund der dort aufgeführten Merkmale benachteiligt werden. Der Begriff der Benachteiligung nach § 75 und die Zulässigkeit einer unterschiedlichen Behandlung richten sich nach den Vorschriften des AGG. Das Gericht erkannt eine unzulässige Benachteiligung nach § 3 AGG. Die Sozialplanleistung soll künftige Nachteile abmildern oder ausgleichen, die den Arbeitnehmern infolge der Betriebsänderung entstehen. Die Möglichkeit einer vorzeitigen Inanspruchnahme einer Altersrente aufgrund der Schwerbehinderung ändere auch für den Schwerbehinderten daran nichts.

Da hat der Anwalt sich ne falsche Klausel ersonnen – BAG 5 AZR 751/13

Der Kläger war als Fahrer für den Abschleppdienst und Pannenhelfer für den beklagten Kleinbetrieb eingestellt. Er verdiente bei einer Wochenarbeitszeit von 40 Stunden 1.000,-€ netto monatlich.

„§ 2 Arbeitsentgelt

Der Arbeitnehmer erhält eine Nettovergütung von 1.000,-€ monatlich in der bereits 30 Einsätze (außerhalb der normalen Arbeitszeit) enthalten sind. Not- und Bereitschaftsdienst wird nicht gesondert vergütet.

Außerdem erhält der Arbeitnehmer eine Zulage für zusätzliche Einsätze während der Bereitschaftszeiten:

  • Pannenhilfe Pkw 10 Euro/Brutto/Auftrag
  • Abschleppen Pkw 10 Euro/Brutto/Auftrag

Die Klausel – wer hätte das gedacht – ist unwirksam.

„Eine Klausel zur Pauschalvergütung von Überstunden ist nur klar und verständlich wenn sich aus dem Arbeitsvertrag selbst ergibt, welche Arbeitsleistung in welchem zeitlichen Umfang von ihr erfasst werden soll. Der Arbeitnehmer muss bereits bei Vertragsschluss erkennen können, was ggf. auf ihn zukommt und welche Leistung er für die vereinbarte Vergütung maximal erbringen muss. Dasselbe gilt, wenn Sonderformen der Arbeit wie Arbeitsbereitschaft, Bereitschaftsdienst oder Rufbereitschaft außerhalb der Normalarbeitszeit erbracht werden müssen und mitvergütet sein sollen.“

Übrigens: Der Nettoverdienst war NICHT sittenwidrig, weil in der Wirtschaftsregion MeckPom für die vereinbarte Tätigkeit bei einer Normalarbeitszeit von 40 Wochenstunden ein Monatsentgelt von 1.000,-€ netto nicht sittenwidrig niedrig ist….. So das BAG….

BR-EXIT??

Schon mal darüber nachgedacht? Der Brexit hat auch Folgen für die Arbeitnehmer(vertretungen)!

  • Zusammensetzung und / oder Bestand des EBR stehen auf dem Prüfstand
  • Die Entsendung nach England ist plötzliche eine echte ins Europäische Ausland und
  • England ist es auch in Bezug auf den Datenschutz Ausland!!! Auch hier muss wie beiden USA über das Safe Harbor Problem nachgedacht werden.

Die hätten sich einfach vor der Aufnahme das englische Liedgut näher anschauen sollen: „Rule Britania Britania rule the world….“ 😉

WICHTIG für BEFRISTUNGEN: Befristung nach WissZeitVG – befristete Vertragsverlängerung auch noch nach Ende Laufzeit des zu verlängernden Vertrages möglich?  – BAG – 7 AZR 117/14

Eine Vertragsverlängerung i.S.v. § 2 Abs. 1 S. 4 WissZeitVG setzt – anders als eine Vertragsverlängerung nach § 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG – nicht voraus, dass die Verlängerungsvereinbarung noch während der Laufzeit des zu verlängernden Vertrags getroffen wird. Es ist auch nicht erforderlich, dass sich die Laufzeit des neuen Vertrags unmittelbar an den vorherigen Vertrag anschließt. Vielmehr ist innerhalb der jeweiligen Höchstbefristungsdauer nach § 2 Abs. 1 WissZeitVG auch der mehrfache Neuabschluss befristeter Arbeitsverträge zulässig.

Die enge Auslegung des Verlängerungsbegriffs in § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG beruht darauf, dass § 14 Abs. 2 TzBfG grundsätzlich nur ein sachgrundlos befristetes Arbeitsverhältnis zwischen denselben Arbeitsvertragsparteien bis zu einer Höchstdauer von zwei Jahren gestattet. Innerhalb dieses Zeitraums sind maximal drei Vertragsverlängerungen zulässig, wenn der zeitliche Höchstrahmen nicht bereits durch den ersten Vertrag ausgeschöpft wurde.  Für die Möglichkeit des Neuabschlusses eines Arbeitsvertrags nach einem beendeten Arbeitsverhältnis spricht die Anrechnungsregelung in § 2 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 WissZeitVG, wonach auf die Höchstbefristungsdauer von zwölf Jahren alle befristeten Arbeitsverhältnisse mit mehr als einem Viertel der regelmäßigen Arbeitszeit, die an einer deutschen Hochschule oder einer Forschungseinrichtung abgeschlossen wurden, anzurechnen sind. Dies setzt voraus, dass nicht nur ein befristeter Arbeitsvertrag mit daran anschließenden Verlängerungen ermöglicht wird, sondern dass der Abschluss mehrerer befristeter Arbeitsverträge – ggf. auch mit mehreren Arbeitgebern und mit zeitlichen Unterbrechungen – nach den Regelungen des WissZeitVG zulässig ist. Das Gesetz verbietet daher nicht den erneuten Abschluss eines nach den Bestimmungen des WissZeitVG befristeten Vertrags (vgl. Krause in Geis Hochschulrecht in Bund und Ländern Stand September 2015 § 2 WissZeitVG Rn. 14; ErfK/Müller-Glöge 15. Aufl. § 2 WissZeitVG Rn. 7), sondern ermöglicht ihn. Dem Begriff der „Verlängerung“ kommt deshalb keine gesonderte rechtliche Relevanz zu. Entscheidend ist insoweit allein die Einhaltung der gesetzlichen Höchstgrenzen. ALSO ANDERS als „normale Befristungen“ außerhalb des WissZeitVG, bei denen während der Laufzeit verlängert werden muss.

Ne, Du nicht II (mehr) – „Windhundprinzip“ und Abfindungsausschluss – LAG Düsseldorf 14 Sa 1344/15
LAG Düsseldorf

Vom Windhundrennen spricht man ja gerne mal, wenn es irgendwie schnell gehen muss, um vorne zu sein. Das kennen wir Arbeitsrechtler bei der Besetzung der Einigungsstelle durch das Arbeitsgericht (wer als Erster beantragt, kriegt seinen Vorsitzenden). Das LAG Düsseldorf musste klären, ob es auch so eine Art WIndhundrennen, bei dem Angebot von Aufhebungsverträgen geben darf. Der Kläger will einen Aufhebungsvertrag und eine Abfindung in Höhe von 298.777,00 Euro durchsetzen.

Die Arbeitgeberin will 1.600 Vollzeitarbeitsplätze abbauen. Dazu wurde ein so genanntes »Offenes Abfindungsprogramm«. eingeführt, bei dem Mitarbeitern für einen frühzeitigen Aufhebungsvertrag eine Abfindung in erheblicher Höhe geboten wurde. Als Teilnahmebedingung wurde bestimmt: »Der Mitarbeiter sendet seine verbindliche Erklärung zur Teilnahme am Offenen Abfindungsprogramm in der bekannt gegebenen Form (per E-Mail mit angehängter unterschriebener Erklärung, Formblatt) an die bekannt gegebene Externe Koordinationsstelle«.

Das Abbaukontingent für den Bereich IT, in dem der Kläger arbeitet, sah sieben Stellen vor. Für den Fall, dass es mehr Interessenten als Plätze im Kontingent gibt, werden die zeitlich früheren Eingänge berücksichtigt. Der Kläger meldete sich am 23.03.2015 bei der genannten Website an. Er erhielt eine Anmeldebestätigung mit Eingang 13:07:53:560 Uhr. Die Beklagte teilte ihm mit, dass er nicht berücksichtigt werden könne, weil seine Meldung zu einer Zeit eingetroffen sei, als es keine freien Plätze mehr im zur Verfügung stehenden Kontingent gegeben habe (letzte Vergabe für 13:01:09:603 Uhr).

Der Kläger behauptet, er habe am 23.03.2015 um Punkt 13:00 Uhr vergeblich versucht, sich auf der Webseite einzuwählen. Um 13:04 Uhr habe er die Mitteilung erhalten: »The service is unavailable.« Er meint, die Beklagte hätte seinen Antrag mit dem Eingangszeitpunkt 23.03.2015, 13:00 Uhr, berücksichtigen müssen. Die Klage hatte vor dem LAG Düsseldorf keinen Erfolg. Es begegnet keinen rechtlichen Bedenken, wenn der Arbeitgeber in Abstimmung mit dem Konzernbetriebsrat Mitarbeitern das Ausscheiden gegen Abfindung anbietet, die Anzahl der ausscheidenden Mitarbeiter begrenzt und die Auswahl nach dem zeitlichen Eingang der Meldungen trifft. Dies gilt selbst dann, wenn durch das Abstellen auf Millisekunden nach menschlichem Ermessen die exakte Eingangszeit nicht bis ins Letzte zu beeinflussen ist. Da kein Anspruch auf ein Ausscheiden gegen eine Abfindung besteht, ist der Arbeitgeber – abgesehen von unzulässigen Diskriminierungen, die hier nicht gegeben sind – frei, wie er die Auswahl gestaltet. Ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz liegt nicht vor. Die Beklagte hat gegenüber dem Kläger den früheren Eingang seiner Meldung nicht treuwidrig vereitelt. Diese hatte das Softwareprogramm getestet. Ein Belastungstest für jede denkbare Situation war nicht erforderlich.

Die Beklagte hat den Kläger nicht willkürlich schlechter gestellt, weil nicht ersichtlich ist, dass aufgrund des technischen Fehlers bestimmten Mitarbeitern ein schnellerer Zugriff auf die Webseite gewährt wurde. Mangels Verschulden der Beklagten besteht kein Schadensersatzanspruch. Diesem steht weiter entgegen, dass der Kläger nicht nachweisen konnte, dass er bei fehlerfrei funktionierender Webseite zu den Abfindungsberechtigten gehört hätte. Das Landesarbeitsgericht hat die Revision zugelassen.

Variable Vergütung unter Berücksichtigung von persönlicher Leistung und betriebswirtschaftlichem Gesamterfolg – Bonus nur ausnahmsweise auf „Null“ festsetzbar – LAG München  3 Sa 985/15 

Sind bei der Leistungsbestimmung einer variablen Vergütung sowohl die Leistung des Arbeitnehmers als auch der betriebswirtschaftliche Erfolg der beklagten Bank zu berücksichtigen, kommt nur in Ausnahmefällen eine Festsetzung des Bonus auf „Null“ in Betracht (vgl. BAG, Urteil vom 19. 3.2014 – 10 AZR 622/13).

Ein solcher Ausnahmefall liegt nicht vor, wenn die beklagte Bank, ohne hierzu rechtlich verpflichtet zu sein, Sonderleistungen zu anderen Zwecken und für andere Zeiträume zahlt, die nach ihrem Gesamtvolumen an das Volumen der vertraglich zugesicherten variablen Vergütung heranreichten.

Die ohne Rechtsgrund gezahlten Sonderleistungen sind weder im Rahmen der Budgetfestsetzung noch bei der Festsetzung der individuellen variablen Vergütung zu berücksichtigen, wenn sie zu unterschiedlichen Leistungszwecken und teilweise zu unterschiedlichen Zeiträumen gezahlt wurden. Im Übrigen widerspräche ihre Berücksichtigung dem Transparenzgebot, das für die variable Vergütung durch Regelungen in Gesetzen und Verordnungen im Zuge der Bankenkrise seit 2008 eingeführt worden ist.

Die gerichtliche Leistungsbestimmung hat neben den Festlegungen und dem Zweck einer Vergütungsregelung auch den Umständen der Ermessensentscheidung der beklagten Bank Rechnung zu tragen, die nicht unbillig sind.

Die Betriebsparteien können die Erfüllungswirkung einer für den Wechsel des Arbeitnehmers im Rahmen eines Teilbetriebsübergangs geleisteten Starterprämie für die für das Vorjahr zu zahlende variable Vergütung nicht bestimmen, weil sie damit in unzulässiger Weise in das Synallagma (gegenseitiges Leistungsverhältnis) von Arbeitsleistung und Arbeitsvergütung nach § 611 BGB eingreifen würden.

Die betriebsverfassungsrechtliche Abmahnung – Arbeitsgericht Solingen – 3 BV 15/15

Verstößt der Betriebsrat gegen seine Pflichten, ist der Arbeitgeber befugt, das Gremium abzumahnen. Die Abmahnung sei ein milderes Mittel als die Auflösung des Betriebsrats gem. § 23 Abs. 1 BetrVG.

Im Fall ging es um eine gegenüber dem Betriebsrat ausgesprochene betriebsverfassungsrechtliche Abmahnung wegen einer vom Arbeitgeber nicht gebilligten und aus seiner Sicht zu kurzfristig einberufenen Abteilungs- beziehungsweise Betriebsversammlung. Der Betriebsrat verlangte vor dem Arbeitsgericht Solingen dass der Arbeitgeber erkläre, die erhobenen Vorwürfe nicht aufrecht zu erhalten, aus dem Abmahnungsschreiben keine Rechte mehr herzuleiten.

Diese Forderung steht dem Betriebsrat nicht zu, so die Entscheidung des ArbG. Aus dem Antrag des Betriebsrats gehe nicht hervor, welche konkreten Vorwürfe nicht aufrechterhalten werden sollen und was genau der Arbeitgeber erklären solle. Daher sei der Antrag, die Abmahnung zurückzunehmen, unzulässig, weil nicht hinreichend bestimmt – typischer Anwaltsfehler: sog. Globalantrag.

Sehe man den Betriebsrats-Antrag als zulässig an, sei er aber unbegründet. Einen Widerruf der Abmahnung kann der Betriebsrat laut ArbG nicht von vorneherein verlangen – die Abmahnung gegenüber dem gesamten Betriebsrat ist zulässig:   während ein einzelnes Betriebsratsmitglied verlangen kann, dass der Arbeitgeber eine Abmahnung aus der Personalakte entfernt, damit keine beruflichen Nachteile entstehen, besteht ein solcher Anspruch fürs Gremium nicht.

„Der Betriebsrat ist die Interessenvertretung der Belegschaft, deren Rechten und Pflichten sich aus dem Gesetz ergeben. Ein Rechtschutzbedürfnis dahingehend, entsprechend §§ 242, 1004 BGB ein Beseitigungsanspruch anzunehmen, besteht vor diesem Hintergrund nicht.“

Zwei Dinge dazu:

  1. Es gibt nicht nur die arbeitsvertragliche, sondern auch die betriebsverfassungsrechtliche Abmahnung. Beides sind mildere Mittel als Vorstufe zu einer härteren Maßnahme. Die betriebsverfassungsrechtliche Abmahnung kann von beiden Seiten ausgesprochen werden.
  2. Nach der m.E. fehlerhaften Auffassung des ArbG Solingen gibt es für den Betriebsrat keinen Anspruch auf Entfernung / Rücknahme, weil ja das Gremium betroffen sei und damit der individualrechtliche Entfernungsanspruch nicht greife. Für mich ergibt sich aber ein Anspruch aus § 2 BetrVG – „vertrauensvolle Zusammenarbeit“. Denn es kann nicht sein, dass der Arbeitgeber einseitig den Betriebsrat zu Unrecht maßregeln kann.

„Nicht auf MEINEM Parkplatz“ – die ver.di hat´s schwer – Arbeitsgericht Berlin – 41 Ca 15029/15

Amazon muss keine Streikmaßnahmen der ver.di auf dem Betriebsgelände / Firmenparkplatz dulden, entschied nun das Arbeitsgericht Berlin.

Ver.di beabsichtigt Streikmaßnahmen unter anderem auf dem nicht eingezäunten und zum Betriebsgelände gehörenden Parkplatz des Unternehmens. Der von Verdi vorgetragene Grund: Angesichts der örtlichen Verhältnisse und des (geringen?) Organisationsgrads der Belegschaft könne nur so ein Streik effektiv geführt werden. Die Gewerkschaft hatte zuletzt am 24. März bei Amazon in Pforzheim zum Streik aufgerufen. An dem Standort arbeiten laut Verdi rund 700 Menschen. Auch unter Berücksichtigung des Streikrechts der Gewerkschaft sei Amazon nicht gehalten, einen gegen sie selbst gerichteten Arbeitskampf zu unterstützen, so das Arbeitsgericht Berlin. Daher müsse das Unternehmen das Betriebsgelände – unabhängig von einer Einfriedung, also (nicht bestehenden) Umzäunung – nicht für Streikmaßnahmen zur Verfügung stellen.

Zuvor war Amazon vor dem Arbeitsgericht Pforzheim und dem Landesarbeitsgericht Stuttgart mit dem Versuch gescheitert, die Streiks per einstweiliger Verfügung verbieten zu lassen. In der Hauptsache entschied das Berliner Gericht, weil Verdi dort seinen Hauptsitz hat.

Mit dem Arbeitskampf möchte Verdi (immer noch) erreichen, dass die Tarifverträge des Einzel- und Versandhandels in Baden-Württemberg bei Amazon in Pforzheim anzuwenden sind. Amazon lehnt das ab. Der Versandriese orientiert sich an den niedrigeren Vorgaben der Logistikbranche, liegt dabei nach eigenen Angaben aber am oberen Ende der branchenüblichen Löhne. Seit 2013 kommt es deshalb immer wieder zu Streiks an den deutschen Amazon-Standorten.

Das könnte auch Amazon dann doch nicht: Gangs of New York gegen Arbeitsgericht Gelsenkirchen – 3 GA 3/16

Die Koalitionsfreiheit aus Art. 9 III GG gibt das ungehinderte Recht, Vertretungen für Arbeitnehmer (Gewerkschaft) und für Arbeitgeber (Arbeitgeberverband) zu gründen. Arbeitgeber sehen das nicht immer gerne. Sie suchen nach Mitteln und Wegen, sich diesem Einfluss zu entziehen. Der einfachste Weg ist sicher der: „erst Eintritt ins Unternehmen, bei Austritt aus Gewerkschaft“. Ne, sagte das BAG schon vor Ewigkeiten (1988). Wie primitiv ist das denn? Klarer Verstoß gegen die Koalitionsfreiheit. Also müsste man subtiler arbeiten. Und da war ein Unternehmen kreativ:  Das Unternehmen bot seinen Mitarbeitern eine Prämienzahlung von 50 Euro an, wenn diese ihren Mitgliedsausweis bei der Gewerkschaft wieder abgäben. Um das Austrittsverfahren zu vereinfachen und zu beschleunigen wurde gleichzeitig ein entsprechendes Kündigungsschreiben zur Verfügung gestellt. Gegen diese Praktik ging die Gewerkschaft im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes vor.

Das Recht, Gewerkschaften oder Arbeitgebervereinigungen zu gründen, ist verfassungsrechtlich geschützt (Art. 9, Abs. 3 GG). Das bedeutet, dass jede Behinderung dieser Koalitionsfreiheit durch Drohung, Versprechen oder sonstige Mittel rechtswidrig ist. Arbeitgeber und Betriebsrat haben darüber zu wachen, dass jede unterschiedliche Behandlung von Personen wegen ihrer gewerkschaftlichen Betätigung oder Einstellung unterbleibt. Arbeitgeber dürfen auch die Einstellung eines Arbeitnehmers nicht von dessen Austritt aus einer Gewerkschaft abhängig machen. Das Arbeitsgericht entschied, dass es sich hier um einen“ massiven Verstoß“ gegen die Koalitionsfreiheit der Gewerkschaft nach Art. 9 Abs. 3 GG handele und die Prämienzahlung damit rechtswidrig sei. Durch einen versuchten Angriff auf die Mitgliederstärke einer Gewerkschaft könne ihre Verhandlungsstärke, die ganz entscheidend für eine Gewerkschaft sei, nachhaltig geschwächt werden. Auch die das individuelle Grundrecht einzelner Arbeitnehmer sei betroffen. Denn gerade auf Mitarbeiter mit Befristung oder in der Probezeit werde dadurch Druck ausgeübt, lieber auszutreten.

Das eröffnet sicherlich auch das Verständnis dafür, dass es umgekehrt auch der Gewerkschaft verwehrt sein muss, Leute unmittelbar oder mittelbar dazu zu zwingen, in die Gewerkschaft einzutreten (sog. negat. Koalitionsfreiheit). Aus diesem Grund kann auch mittels Tarifvertrag kein Arbeitgeber wirksam gezwungen werden, nur Genossen einzustellen oder nur den Tarifgebundenen die Leistungen aus dem Tarifvertrag zu gewähren oder den Tarifgebundenen immer eine bestimmte Summe mehr leisten zu müssen, als dem nicht Tarifgebundenen. Das hat das BAG schon in den 50igern entschieden. Was hat das Ganze mit den „Gangs of New York“ zu tun? Ein Handlungsschwerpunkt war der berüchtigte Stimmenkauf bei den Irischen Einwanderern….. 😉

It´s raining men- öh, nee women – geht das? Eine ausschließlich an Frauen gerichtete Stellenausschreibung –  ArbG Köln – 9 Ca 4843/15  

Eine sich ausschließlich an Frauen richtende Stellenanzeige („Frauen an die Macht!“) verstößt gegen das Benachteiligungsverbot des AGG. Eine solche Ungleichbehandlung kann im Einzelfall aber gerechtfertigt sein. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn der Arbeitgeber das Ziel verfolgt, seinen Kunden Verkaufsberater beider Geschlechter zur Verfügung zu stellen, und bereits ausdrückliche Kundennachfragen nach einer Verkäuferin erfolgten.

Tüss Geschichts(-Nazi)-Depp? – Veröffentlichung von Auschwitz-Foto auf Facebook und Kündigung – ArbG Mannheim – 6 Ca 190/15

Ein Bahn-Mitarbeiter hatte auf seiner Facebook – Seite ein Foto veröffentlicht, welches das Eingangstor des Konzentrationslagers in Auschwitz mit dem Schriftzug „Arbeit macht frei“ zeigt. Darunter ist in polnischer Sprache zu lesen: „Polen ist bereit für die Flüchtlingsaufnahme“.

Dieser polnische Text war auf Anfrage eines Lesers vom Kläger übersetzt worden. Weiter befindet sich auf der Seite auch ein Foto des Klägers in Uniform vor einem Zug seiner Arbeitgeberin. Sein Steckbrief enthält überdies die ausdrückliche Angabe, dass er bei der DB Regio AG/ S-Bahn Rhein-Neckar und DB Bahn beschäftigt ist.

Nachdem die DB Regio von diesem Eintrag erfahren hatte, kündigte sie das Arbeitsverhältnis des Mitarbeiters außerordentlich, hilfsweise ordentlich.

Der Kläger hatte sich für die „unüberlegte dumme Tat“ vor Zugang der Kündigung bei der Beklagten entschuldigt. Er begründete seine ausländerfeindliche Vorgehensweise damit, dass er als gebürtiger Pole einen anderen Bezug zum Thema Auschwitz habe (wie bitte???).

Das Foto stamme aus einer polnischen Satirezeitschrift. Den Text habe er amüsant gefunden. Die Beklagte hält das Verhalten des Fahrzeugführers vor dem Hintergrund, dass auch Flüchtlinge in ihren Zügen fahren, für untragbar.

Das Arbeitsgericht sah angesichts des Verhaltens des Klägers eine Pflichtverletzung als gegeben. Bereits die vom geschichtlichen Kontext losgelöste Verwendung des Eingangstors von Auschwitz oder des Satzes „Arbeit macht frei“, so die zur Entscheidung berufenen Richterinnen, sei in Deutschland tabuüberschreitend und mute in Verbindung mit Flüchtlingen menschenverachtend an.

Dass es sich dabei um Satire handele, worauf sich der Kläger beruft, sei objektiv nicht erkennbar. Der auf Facebook eingestellte Text und das Foto seien deshalb auch nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt und außerdem geeignet, sich zu Lasten des Arbeitgebers ruf- und geschäftsschädigend auszuwirken.

Im Rahmen einer abschließend vorzunehmenden Abwägung der Interessen der Parteien, kam das Gericht zu dem Ergebnis, dass die dem Kläger ausgesprochene außerordentlich, hilfsweise ordentliche Kündigung, unwirksam ist.

Begründet wurde dies insbesondere angesichts des ungestörten Verlaufs des Arbeitsverhältnisses über 14 Jahre hinweg, auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass sich der Kläger unmittelbar danach bei der Beklagten entschuldigt und er das Foto auf seinem Facebook-Account sofort gelöscht habe.

Das Gericht machte deutlich, dass es davon ausgehe, dass der Kläger sich überhaupt keine Gedanken darüber gemacht habe, was er mit der Veröffentlichung auf seiner Facebook-Seite auslösen würde und forderte den Kläger in der Urteilsbegründung ausdrücklich dazu auf, in Zukunft sensibler in sozialen Netzwerken zu agieren.

Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Für die Beklagte ist das Rechtsmittel der Berufung zum Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg gegeben.

Urlaubsgeld im Sinkflug

Was haben Sigmar Gabriel und die Gewerkschaften (leider) gemeinsam?? Sinkende Sympathiewerte….. Und das führt bei Letzteren dazu, dass es immer weniger tarifgebundene Betriebe gibt. Und das führt das, dass es immer weniger Urlaubsgeld gibt. Heute erhalten noch knapp 41% der Arbeitnehmer Urlaubsgeld. Waren ehedem mehr als drei Viertel aller Unternehmen tarifgebunden, so sin des heute noch knapp 60%. Weihnachtsgeld erhalten 54% der befragten Betriebe.   

Good Night & Good Luck

Ihr / Euer Dr. Stephan Grundmann