Auch in der Insolvenz darfst Du das nicht – zugleich Ausführungen zur Höhe des sog. Nachteilsausgleichs bei einer Betriebsänderung – BAG 7 ABR 34/16 – Leiter ist nicht Leiter – ArbG Neumünster – 3 BV 3a/18 – oder: Der Prinzipientreue BR ißt hier keinen Fisch mehr 😉 – Fliege nicht mit SunExpress!! Keine Betriebsratswahlen für die Piloten bei der SunExpress ArbG Frankfurt am Main – 14 BVGa 206/18 –  Handynummer für den Chef? Einem lästigen Typ die Handynummer zu verweigern ist ok. Was aber, wenn der Arbeitgeber danach aus beruflichen Gründen fragt – 6 Sa 442/17 und 6 Sa 444/17 – Auflösungsantrag nach § 9 KSchG – Erst die rechtskräftige Stattgabe lässt Pflicht zur Arbeitsleistung entfallen – also ich würde den Anwalt verklagen

BAG – 2 AZR 86/17 – Klar oder unklar, geht oder geht nicht – oder dürfen´s ruhig mehrere Köche sein – BAG 1 AZR 717/15 – Getackertes Zeugnis stellt kein Geheimzeichen dar – Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz – 5 Sa 314/17 – Da vermuten wir doch, dass du mich krankheitsbedingt gekündigt hast – und wenn du es anders siehst, musst du es widerlegen – LAG Berlin-Brandenburg 10 Sa 1507/17 – Was bedeutet „nach billigem Ermessen“? – Oder es gibt Urteile, an die will man eigentlich nicht ran – BAG 10 AZR 376/16 – D & O und der Koch

 

Auch in der Insolvenz darfst Du das nicht – zugleich Ausführungen zur Höhe des sog. Nachteilsausgleichs bei einer Betriebsänderung – BAG 7 ABR 34/16

Der Insolvenzverwalter hatte einfach mal allen gekündigt, obwohl mit dem vorhandenen Betriebsrat wegen der Schließung ein Interessenausgleich und Sozialplan hätte verhandelt werden müssen, §§ 111-113 BetrVG.

Der Anspruch auf den Nachteilsausgleich gem. § 113 Abs. 3 BetrVG gilt auch im Insolvenzverfahren und sanktioniert das objektiv betriebsverfassungswidrige Verhalten des Arbeitgebers / Insolvenzverwalters, wenn eine Betriebsänderung durchgeführt wird – hier die Schließung -, ohne einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat versucht zu haben.

Und wie hoch ist der? Die Abfindungshöhe bemisst sich nach dem Lebensalter und der Betriebszugehörigkeit. Darüber hinaus sind die Arbeitsmarktchancen und das Ausmaß des betriebsverfassungswidrigen Verhaltens zu berücksichtigen. Der Sanktionscharakter führt nicht dazu, dass der Abfindungsanspruch von der finanziellen Leistungsfähigkeit oder individuellen Leistungsbereitschaft des Arbeitgebers abhängt. Vielmehr hat der entscheidende Richter ein Ermessen. Zieht er die Wertung des § 1a II KSchG heran und legt 0,5 Monatsverdienste für jedes Jahr fest, ist das nicht zu beanstanden. Der Insolvenzverwalter wollte die Höchstgrenzen der InsO angewandt sehen, ich wäre für mehr als 0,5.

Aber letztlich hat das Gericht diese als Richtschnur genommen.

MERKE: Wird ein SP – außerhalb der InsO – verhandelt, sind die 0,5 nie im Gespräch. Die Idee des Gesetzgebers ist keine erst gesetzte Wertung iSv „nur so ist´s richtig“. Bitte hier nicht ins Bockshorn jagen lassen

 

Leiter ist nicht Leiter – ArbG Neumünster – 3 BV 3a/18 – oder: Der Prinzipientreue BR ist hier keinen Fisch mehr 😉

Im zu verhandelnden Fall hat die bundesweit im Bereich der Systemgastronomie mit einer großen Anzahl von Filialen vertretene Arbeitgeberin mit der zuständigen Gewerkschaft einen Tarifvertrag geschlossen, wonach die Filialmitarbeiter in Regionen jeweils einen gemeinsamen Betriebsrat wählen. Bisheriger Vorsitzender einer Region war ein Filialleiter, der laut schriftlichem Arbeitsvertrag nicht befugt war, gegenüber den ihm unterstellten Mitarbeitern Arbeitgeberentscheidungen zu treffen.

Viele Jahre später erhielt der Filialleiter von der Arbeitgeberin eine EINSEITIGE Stellenbeschreibung, die die selbständige Einstellungs- und Entlassungsbefugnis gegenüber Mitarbeitern der zu betreuenden Filiale vorsieht. Eine später überreichte Personalvollmacht hat der Filialleiter nicht gegengezeichnet. Bei der Betriebsratswahl wurde der Filialleiter erneut in den Betriebsrat und dort zum Vorsitzenden gewählt.

Die Arbeitgeberin hat die Wahl angefochten. Diese sei unrechtmäßig, weil der Filialleiter leitender Angestellter im Sinne von § 5 Abs. 3 BetrVG sei und deshalb nicht in den Betriebsrat hätte gewählt werden dürfen. Das hat System: Die Firma Nordsee hat bundesweit zig Wahlen angefochten. Das Arbeitsgericht hielt die Betriebsratswahl für rechtens. Aus dem Arbeitsvertrag des Filialleiters ergibt sich nicht der Status eines leitenden Angestellten. Er kann arbeitsvertraglich nicht selbständig einstellen oder entlassen. Eine einvernehmliche Abänderung des Arbeitsvertrages durch die Übersendung einer (neuen) Stellenbeschreibung sieht das Gericht ebenso wenig wie eine Berechtigung der Arbeitgeberin, den Status des Filialleiters einseitig abzuändern. Auch bezöge sich eine etwaige Personalkompetenz des Filialleiters nur auf die eigene Filiale. Im Hinblick auf die relevante Teilregion mit einer Vielzahl von Filialen ist diese nicht hinreichend bedeutsam, um den Status des  Leitenden Angestellten zu begründen.

 

Fliege nicht mit SunExpress!! Keine Betriebsratswahlen für die Piloten bei der SunExpress ArbG Frankfurt am Main – 14 BVGa 206/18 – 

Das ArbG Frankfurt hat dem Antrag der SunExpress Deutschlang GmbH stattgegeben, einem auf Initiative der Vereinigung Cockpit gewählten Wahlvorstand zu untersagen, die Wahl zu einem Betriebsrat für ihren Flugbetrieb durchzuführen.

Der Flugbetrieb unterliegt nicht dem Betriebsverfassungsgesetz, weshalb die Wahl eines Betriebsrates für das fliegende Personal eines Luftfahrtunternehmens ohne einen Tarifvertrag nach § 117 Abs. 2 BetrVG mangels gesetzlicher Grundlage nichtig ist.

  • 117 Geltung für die Luftfahrt

(1) Auf Landbetriebe von Luftfahrtunternehmen ist dieses Gesetz anzuwenden.

(2) Für im Flugbetrieb beschäftigte Arbeitnehmer von Luftfahrtunternehmen kann durch Tarifvertrag eine Vertretung errichtet werden. Über die Zusammenarbeit dieser Vertretung mit den nach diesem Gesetz zu errichtenden Vertretungen der Arbeitnehmer der Landbetriebe des Luftfahrtunternehmens kann der Tarifvertrag von diesem Gesetz abweichende Regelungen vorsehen.

Die Piloten wollten entgegen der eindeutigen Regelung des BetrVG´s das Thema retten, indem sie eine sog. Richtlinienkonforme Auslegung forderten. Was heißt das:

Sei wollten eine Richtlinie der Europäischen Union bemühen, nach welcher das Deutsche Recht in einer bestimmten Art und Weise nach Unionsvorgaben anzuwenden st.

Für eine richtlinienkonforme Auslegung dahingehend, dass in Luftfahrtunternehmen ohne Tarifverträge nach § 117 Abs. 2 BetrVG gesetzliche Betriebsräte auch für den Flugbetrieb errichtet werden können, sah das ArbG keinen Raum. Die Richtlinie 2002/14/EG habe zwar die Festlegung eines allgemeinen Rahmens mit Mindestvorschriften für das Recht auf Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer zum Ziel, treffe aber keine Aussage darüber, ob und ggf. welche Arbeitnehmervertretungen zu gründen zu seien. ALSO: Wenn Piloten einen BR wollen, brauchen sie weiterhin dafür einen Tarifvertrag.

 

Handynummer für den Chef? Einem lästigen Typ die Handynummer zu verweigern ist ok. Was aber, wenn der Arbeitgeber danach aus beruflichen Gründen fragt – 6 Sa 442/17 und 6 Sa 444/17

Arbeitnehmer sind nach einer Entscheidung des Thüringer Landesarbeitsgerichts grundsätzlich nicht verpflichtet, ihre private Mobilfunknummer beim Arbeitgeber anzugeben. Dieser könne auch auf anderem Weg sicherstellen, dass Beschäftigte im Notfall erreicht werden können, begründete das Gericht am Mittwoch in Erfurt seine Entscheidung. Nur unter besonderen Bedingungen und in engen Grenzen habe ein Arbeitgeber das Recht auf Kenntnis der privaten Handynummer eines Angestellten.

Verhandelt wurde die Klage von Mitarbeitern des kommunalen Gesundheitsamtes gegen den Landkreis Greiz. Sie verlangten mit Erfolg, dass eine Abmahnung aus ihrer Personalakte entfernt wird, weil sie nur ihre private Festnetz-, nicht aber ihre Handynummern für Bereitschaftsdienste angaben. Das Landesarbeitsgericht bestätigte mit seiner Entscheidung ein Urteil des Arbeitsgerichts Gera und machte damit deutlich, welches Gewicht der Datenschutz auch im Arbeitsleben hat.

Wenn ein Arbeitgeber die Handynummer eines Beschäftigten habe, sei es für ihn möglich, den Mitarbeiter fast immer und überall zu erreichen. Der Arbeitnehmer könne dann nicht mehr wirklich zur Ruhe kommen. Das sei ein erheblicher Eingriff in Persönlichkeitsrechte, der nur unter ganz besonderen Umständen gegen seinen Willen hinnehmbar sei. Das gelte beispielsweise dann, wenn sich die Arbeitspflichten des Mitarbeiters nicht anders sinnvoll organisieren ließen. Das sei in den vorliegenden Fällen aber nicht so gewesen.

Gegen seine Entscheidung hat das Landesarbeitsgericht keine Revision beim Bundesarbeitsgericht zugelassen. Zwar habe die Frage des Umgangs mit Handynummern grundsätzliche Bedeutung, so die Kammer. Allerdings gebe es in beiden Fällen einige Besonderheiten, so dass es nicht geboten scheine, die Fälle den obersten deutschen Arbeitsrichtern vorzulegen.

Denn „die grundlegende Rechtsfrage, dass der Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung durch ein entgegenstehendes, überwiegendes berechtigtes Interesse gerechtfertigt sein müsse, sei bereits geklärt.

 

Auflösungsantrag nach § 9 KSchG – Erst die rechtskräftige Stattgabe lässt Pflicht zur Arbeitsleistung entfallen – also ich würde den Anwalt verklagen

BAG – 2 AZR 86/17

Unser Kläger hatte eine Kündigung bekommen, sich dagegen gewehrt. Der Arbeitgeber nahm die Kündigung zurück, unser Kläger beantragte eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Abfindungsleistung:

„§ 9 KSchG

  1. Stellt das Gericht fest, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist, ist jedoch dem Arbeitnehmer die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zuzumuten, so hat das Gericht auf Antrag des Arbeitnehmers das Arbeitsverhältnis aufzulösen und den Arbeitgeber zur Zahlung einer angemessenen Abfindung zu verurteilen“.

 

ABER GENAUER: Am 25.11.15 stellte der Kläger einen Kündigungsschutzantrag gegen die Kündigung vom selbigen Tage. Am 16.2.16 erkannte die Beklagte den Anspruch an. ABER: Der Kläger hat sich am 29.2.2016 gegen den Erlass eines Anerkenntnisurteils ausgesprochen und beantragt, das Arbeitsverhältnis der Parteien gegen Zahlung einer Abfindung iHv. mindestens 10.000,00 Euro brutto aufzulösen. Das Arbeitsgericht hat mit „Teilanerkenntnisurteil“ vom 17.3.2016 festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 25. November 2015 nicht aufgelöst werde. Der Kläger erbrachte seine Arbeitsleistung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist. Ab dem 1. Juni 2016 blieb er der Arbeit auf Empfehlung seines Prozessbevollmächtigten fern. Mit Schreiben vom 7. Juni 2016 wies die Beklagte ihn darauf hin, dass das Arbeitsverhältnis fortbestehe und er nicht berechtigt sei, mit Blick auf den bisher nicht beschiedenen Auflösungsantrag die Arbeit einzustellen. Zugleich mahnte sie ihn wegen unentschuldigten Fernbleibens von der Arbeit in der Zeit vom 1. bis 7. Juni 2016, sollte er die Arbeit nicht wieder aufnehmen, drohe eine Kündigung. Vom 8. Juni bis 8. Juli 2016 sowie vom 13. bis 20. Juli 2016 war der Kläger arbeitsunfähig krankgeschrieben. In der Zwischenzeit sowie daran anschließend erschien er weiterhin nicht zur Arbeit. Mit Schreiben vom 21. Juli 2016 mahnte die Beklagte den Kläger wegen unentschuldigten Fernbleibens an diesem Tag erneut wie vor ab. Nachdem der Kläger auch am 28. Juli 2016 nicht zur Arbeit erschienen war, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 28. Juli 2016 außerordentlich fristlos. Der Kläger hat die Auffassung vertreten, er habe ab dem 1. Juni 2016 seine Arbeitsleistung nicht mehr erbringen müssen. Zu diesem Zeitpunkt sei mangels rechtskräftiger Entscheidung über den Auflösungsantrag offen gewesen, ob zwischen den Parteien weiterhin ein Arbeitsverhältnis bestehe. Es habe ihm nicht zugemutet werden können, bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag weiterzuarbeiten.

Die beharrliche Weigerung des Arbeitnehmers, seine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen, ist „an sich“ geeignet, eine außerordentliche fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Ein Arbeitnehmer verweigert die ihm angewiesene Arbeit beharrlich, wenn er sie bewusst und nachdrücklich nicht leisten will. Ob er zur Arbeitsleistung verpflichtet ist, bestimmt sich nach der objektiven Rechtslage. Verweigert der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung in der Annahme, er handele rechtmäßig, hat grundsätzlich er selbst das Risiko zu tragen, dass sich seine Rechtsauffassung als unzutreffend erweist

Der Geltungsanspruch des Rechts bewirkt, dass der Schuldner das Risiko eines Rechtsirrtums grundsätzlich selbst trägt und es nicht dem Gläubiger überbürden kann. Ein unverschuldeter Rechtsirrtum liegt nur vor, wenn der Schuldner seinen Irrtum auch unter Anwendung der zu beachtenden Sorgfalt nicht erkennen konnte. Dabei sind strenge Maßstäbe anzulegen. Es reicht nicht aus, dass er sich für seine eigene Rechtsauffassung auf eine eigene Prüfung und fachkundige Beratung stützen kann. Ein Unterliegen in einem möglichen Rechtsstreit muss zwar nicht undenkbar sein. Gleichwohl liegt ein entschuldbarer Rechtsirrtum nur dann vor, wenn der Schuldner damit nach sorgfältiger Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht zu rechnen brauchte; ein normales Prozessrisiko entlastet ihn nicht.

Danach befand sich der Kläger nicht in einem unverschuldeten Rechtsirrtum, als er die Arbeitsleistung ab dem 1. Juni 2016 verweigerte. Die Empfehlung seines Prozessbevollmächtigten vermochte ihn für sich genommen nicht zu entlasten. Soweit der Kläger geltend macht, zur Arbeitspflicht eines Arbeitnehmers bis zur rechtskräftigen Entscheidung über einen Auflösungsantrag läge keine tragfähige Rechtsprechung vor, die ihm als Richtschnur habe dienen können, zeigt er selbst auf, dass er bei sorgfältiger Prüfung sehr wohl damit rechnen musste, die Gerichte könnten die Rechtslage anders beurteilen als er. Auf das – seinen Rechtsstandpunkt teilende – Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz durfte er schon wegen des abweichenden Urteils des Landesarbeitsgerichts Köln nicht vertrauen.

 

Klar oder unklar, geht oder geht nicht – oder dürfen´s ruhig mehrere Köche sein – BAG 1 AZR 717/15

Das herrschende Unternehmen des Konzerns schloss zugleich handelnd namens und im Auftrag der in einer Anlage genannten konzernzugehörigen Unternehmen mit dem Konzernbetriebsrat („soweit zuständig“) und den („soweit zuständig) Gesamtbetriebsräten ein „Eckpunktepapier IZV“. Es sollte für die darin aufgeführten Initiativen und Projekte die Möglichkeit eröffnen, im Rahmen eines Sofortprogramms betroffenen Arbeitnehmern ua. einen Aufhebungsvertrag mit Abfindungsleistungen anzubieten, deren Höhe sich nach einer ausdrücklich genannten Gesamtbetriebsvereinbarung bestimmt.

Im Kern ging es um einen Abfindungsanspruch, der (leider) wie so häufig nicht so klar formuliert war. Bevor es darum ging, behandelte das BAG aber eine die Wirksamkeit des Dokuments in Frage stellende Vorfrage: Kann überhaupt ein Dokument von verschiedenen Vertragsparteien (hier Holding, Unternehmen, KBR und GBR) abgeschlossen werden??

In einer älteren Entscheidung hatte das BAG ein gemeinsames Papier mit den Beteiligten Gewerkschaft, BR und Arbeitgeber für unwirksam gehalten, weil unklar war, welche Rechtsqualität das Dokument haben sollte. Denn das Arbeitsrecht kennt als Kollektivregeln nur B-G-KBV oder Tarifvertrag. Dieses neue Dokument mit verschiedenen Kollektivpartnern akzeptierte das BAG nicht. Es widersprach dem Rechtsstaatsprinzip und war damit unwirksam.

Soweit ersichtlich, gibt es noch keine Entscheidung dazu, ob bei einer BV die Vertreter verschiedener Betriebs- und Unternehmensebenen ein Papier zeichnen dürfen. Hier ist sie:

Wir haben oben gelesen, dass die Beteiligten immer mit dem Zusatz unterschrieben haben „soweit zuständig“. Damit wollte man wohl klar stellen, dass nicht alle für alles zeichnen wollten, sondern die Zeichnung immer nur das abdecken sollte, was rechtlich möglich ist. MaW ist das Eckpunktepapier eine Art Gemengelage aus GBR- und KBR-Themen. Das – so eine ausdrückliche Erklärung, wird aber aus dem Weiteren ersichtlich – erschien dem BAG grundsätzlich möglich.

Das Problem lag dann mehr im Detail: Die BV hatte nach Auffassung des BAG nur Bestand, wenn sich aus deren Text zweifelsfrei ergibt, wer Urheber der Bestimmung ist und in welchem Verhältnis diese Bestimmungen zueinander stehen. Das folgt aus dem Gebot der Rechtsquellenklarheit (maW: wer ist Anspruchsgegner / Urheber der Bestimmung?). das kommt ua. in dem Schriftformgebot des § 77 II BetrVG zum Ausdruck. Es stellt sicher, dass für die „Normunterworfenen“ die Urheberschaft eindeutig ist. Erst aufgrund dessen kann beurteilt werden, wer für die Normsetzung wem gegenüber verantwortlich ist, ob sie von der jeweiligen Normsetzungskompetenz gedeckt ist und wer zur Ablösung berechtigt ist sowie wem entsprechende Durchführungs- und Einwirkungspflichten obliegen.

Das ist hier im Endeffekt wegen des Verweises auf den ohnehin geltenden SP (GBV) gut gegangen. Ich kann nur warnen: Die Zuständigkeiten müssen klar sein. In unklaren Fällen schließen wir auf mehreren Ebenen isoliert ab. Also statt alle zusammen in einem Papier schleißen wird das gleiche halt mehrfach als BV, GBV und / oder KBV isoliert ab. Frei nach dem Motto: eine Regelung wird halten.

Denn eine „Gemengelage“ birgt wie aufgezeigt, große Risiken.

 

Getackertes Zeugnis stellt kein Geheimzeichen dar

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 09.11.2017

– 5 Sa 314/17 –

Ein Arbeitnehmer hat keinen Anspruch auf ein ungefaltetes und ungetackertes Arbeitszeugnis. Ein getackertes Zeugnis stellt kein unzulässiges Geheimzeichen dar. Dies hat das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz entschieden.

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Nachdem das Arbeitsverhältnis durch eine ordentliche betriebsbedingte Kündigung der Arbeitgeberin im November 2015 beendet wurde, erhielt der Arbeitnehmer ein Arbeitszeugnis. Der Arbeitnehmer war aber unter anderem nicht mit der Form des Zeugnisses einverstanden. Denn dieses war sowohl gefaltet als auch getackert. Der Arbeitnehmer meinte, dass ein getackertes Zeugnis einem unbefangenen Arbeitgeber mit Berufs- und Branchenkenntnis signalisiere, der Zeugnisaussteller sei mit dem Arbeitnehmer nicht zufrieden gewesen. Der Arbeitnehmer erhob daher Klage auf Erteilung eines ungefalteten und ungetackerten Arbeitszeugnisses.

Das Arbeitsgericht Mainz wies die Klage auf Erteilung eines ungefalteten und ungetackerten Arbeitszeugnisses ab. Dagegen richtete sich die Berufung des Arbeitsnehmers.

Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz bestätigte die Entscheidung des Arbeitsgerichts und wies daher die Berufung des Arbeitnehmers zurück. Es bestehe kein Anspruch auf ein ungefaltetes und ungetackertes Arbeitszeugnis. Es sei nicht zu beanstanden, wenn der Arbeitgeber das Zeugnis zweimal faltet, um es in einem Geschäftsumschlag üblicher Größe unterzubringen (vgl. BAG, Urt. v. 21.09.1999 – 9 AZR 893/98 -). Wichtig sei nur, dass das Zeugnis kopierfähig sei und die Knicke sich nicht auf den Kopien etwa durch Schwärzungen abzeichnen. Ein Arbeitgeber müsse aber nicht das Zeugnis in einem DIN A4 Umschlag ungefaltet und in besonderer Weise durch Verstärkungen geschützt, übersenden. Weiterhin stelle es kein unzulässiges Geheimzeichen dar, wenn der Arbeitgeber die Blätter des Zeugnisses mit einem Heftgerät körperlich miteinander verbindet. Für die Ansicht des Arbeitnehmers gebe es keinerlei Belege.

 

Da vermuten wir doch, dass du mich krankheitsbedingt gekündigt hast – und wenn du es anders siehst, musst du es widerlegen – LAG Berlin-Brandenburg 10 Sa 1507/17

Da gibt es so einen Paragraphen, den schaut man sich selten richtig an. Und zwar handelt es sich hierbei um § 8 Abs. 1 Satz 1 EFZG. Danach wir der Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts nicht dadurch berührt, dass der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit gekündigt hat. Doch wie lag der Fall? Ein Arbeitnehmer wurde während seiner dreimonatigen Probezeit während einer Arbeitsunfähigkeit gekündigt. Die Kündigung erfolgte mit einer Frist von zwei Wochen zum 10.08.2016. Für diesen Zeitraum und darüber hinaus zahlte die Krankenkasse dem Arbeitnehmer für 29 Tage Krankengeld in Höhe von 1192,77 EUR, da sie davon ausging, dass die Kündigung aufgrund der fortgesetzten Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers erfolgte. Nicht ganz abwegig der Gedanke. In diesem Fall greift eben der o. g. § 8 EFZG. Statt der Krankenkasse hätte der Arbeitgeber Entgeltfortzahlung nach § 3 EFZG leisten müssen. Hat er aber nicht. Die Krankenkasse verlangt vom Arbeitgeber nun eben diese 1192,77 EUR aus übergangenem Recht. Sowohl das Arbeitsgericht Cottbus in der ersten Instanz, als auch das LAG Berlin-Brandenburg in der Berufung, gaben der Krankenkasse Recht.

Der Arbeitgeber kündigte das Arbeitsverhältnis am 26.07.2016. Der Arbeitnehmer war bis zum 25.07.2016 arbeitsunfähig erkrankt. Unabhängig von der Frage, ob der der Arbeitgeber zu diesem Zeitpunkt wusste, ob die Arbeitsunfähigkeit fortdauern würde, so hätte er zumindest die vom Bundesarbeitsgericht geforderten drei Tage abwarten, ob die Arbeitsunfähigkeit fortdauert. Hat er aber nicht. Nicht gut. Denn in diesem Fall gilt der erste Anschein dafür, dass die Kündigung eben aufgrund der Arbeitsunfähigkeit erfolgte. Und eben diesen ersten Anschein muss der Arbeitgeber entkräften. Er muss nicht den Gegenbeweis erbringen, sondern halt nur den Anschein erschüttern. Was ihm hier allerdings nicht gelang. Zwar berief er sich darauf, dass die Kündigung aufgrund einer Schlechtleistung des Arbeitnehmers vom 14.07.2016 erfolgte. Doch konnte er nicht überzeugend darlegen, warum er nach der angeblichen Schlechtleistung noch 12 Tage brauchte um dann die Kündigung auszusprechen.

Hätte der Arbeitgeber mit seiner Argumentation Erfolg gehabt, so hätte er eben nur bis zum 10.08.2018 zahlen müssen. In einem solchen Fall greift dann § 8 Abs. 2 EFZG, wonach der Anspruch auf Entgeltfortzahlung erlischt, wenn das Arbeitsverhältnis eben nicht krankheitsbedingt gekündigt wurde. Da hier aber die Vermutung bestand, dass das Arbeitsverhältnis aufgrund der Krankheit des Arbeitnehmers gekündigt wurde, war er auch verpflichtet für weitere 4 Wochen über den 10.08.2018 hinaus die Entgeltfortzahlung zu übernehmen.

Tja… Hätte er mal nur die Rechtsprechung des BAG mit den drei Tagen gekannt.

 

Was bedeutet „nach billigem Ermessen“? – Oder es gibt Urteile, an die will man eigentlich nicht ran – BAG 10 AZR 376/16 

Da gibt es § 315 BGB.  Danach kann eine Partei die Leistung nach billigem Ermessen bestimmen… und so weiter und so weiter. Doch was heißt das tatsächlich oder in der Praxis. Nehmen wir mal ein Beispiel aus dem Automobilkauf. G verkauft an S ein Auto. Im Kaufvertrag vereinbaren beide, dass S den Kaufpreis frei bestimmen kann.  Das Fahrzeug hat einen Wert von 85.000 EUR. S zahlt an G einen Kaufpreis von nur 1000 EUR. In diesem Fall greift nun § 315 BGB. Da S laut Kaufvertrag das alleinige Leistungsbestimmungsrecht hat, kann er zunächst festlegen, welchen Kaufpreis er dem G zahlt. Aber!!! Dann kommt § 315 BGB und das billigende Ermessen ins Spiel. Der von S festgesetzte Kaufpreis muss billigendem Ermessen entsprechen. Unjuristisch gesagt, müssen wir uns die Frage stellen, ob 1000 EUR bei einem Auto, welches 85000 EUR wert ist, fair ist. Und diese Art der Fairness, unterliegt der gerichtlichen Kontrolle.

Nun zum Fall vom BAG. Dort hieß es im Arbeitsvertrag: „Das monatliche Bruttogehalt – zahlbar am 1. des folgenden Monats – beträgt 2.200,- DM.

Zusätzlich zum Grundgehalt wird – nach Ablauf der Probezeit – als freiwillige Leistung – eine Weihnachtsgratifikation gezahlt, deren Höhe jeweils jährlich durch den Arbeitgeber bekanntgegeben wird und deren Höhe derzeit ein volles Monatsgehalt nicht übersteigt.“

Bis einschließlich des Jahres 2013 leistete die Beklagte an die Klägerin in jedem Kalenderjahr eine Sonderzahlung in Höhe eines ganzen Bruttogehalts. Eine Hälfte als wurde als Vorschuss mit der Vergütung für Mai und die andere Hälfte mit der Vergütung für November abgerechnet und gezahlt. Außerhalb der Verdienstabrechnungen erfolgten seitens der Beklagten keine Mitteilungen über die Weihnachtsgratifikation.

In der Verdienstabrechnung der Klägerin für Mai 2014 war neben dem Monatsgehalt ein als „Abschl. J-Gratifikat.“ bezeichneter Betrag in Höhe eines halben Bruttogehalts ausgewiesen, der nach Abzug von Steuern und Beiträgen netto an die Klägerin ausgezahlt wurde.

Nachdem die Beklagte im August 2014 bei einem geschätzten Aufwand von 320.000,00 bis 350.000,00 Euro für die „zweite Hälfte“ der Weihnachtsgratifikation ein negatives Betriebsergebnis vor Steuern prognostiziert hatte, entschied sie im September 2014, keine weitere Gratifikation an die Belegschaft zu zahlen. Im Oktober 2014 unterrichtete sie die Klägerin schriftlich darüber, dass „aufgrund der gesamtwirtschaftlichen Lage die Zahlung des zweiten Teils der Jahresendgratifikation mit der Novemberabrechnung 2014 nicht erfolgen“ könne.

Das BAG musste sich nun mit der Frage beschäftigen, ob es nach billigem Ermessen rechtmäßig war, dass die Arbeitnehmerin (hier die Klägerin) nur einen Teil der „versprochen“ Gratifikation bekam. Wie wir dem Arbeitsvertrag entnehmen können, oblag es dem Arbeitgeber, die Höhe der Gratifikation festzulegen. War es also „fair“, nur die Hälfte auszuzahlen. Und eben diese Frage unterliegt der gerichtlichen Nachprüfung.

Und fair war es, so das BAG. Denn die Arbeitgeberin konnte hier schlüssig darlegen, warum, sie die Gratifikation um die Hälfte kürzte. Und Grund war eben das negative Betriebsergebnis. Insofern hat die Arbeitgeberin ihr Ermessen hier korrekt ausgeübt.

 

D & O und der Koch

Wäre ich mal nach Brüssel (wie Oettinger BaWü) gegangen oder zum Bundesverfassungsgericht (Müller, Saarland) oder zur Bahn (Pofalla) oder nach Malle (Wendler). Niemals wäre was passiert, sagt sich der Roland Koch.

Der ehemalige Ministerpräsident Hessens wird von seinem ehemaligen Arbeitgeber neben anderen Vorständen möglicherweise auf über 100 Millionen Schadensersatz verklagt. Hauptvorwurf: Auftragserschleichung durch Korruption. Aber macht Euch keine Sorgen:

  1. Die Kanzlei Linklaters sieht die Pflichtverletzung, die Beraterfirma Ernst & Young nicht.
  2. Die Vorgänge „kamen“ teils aus übernommenen Firmen und
  3. Da gibt’s ja noch die Directors & Officers-Versicherung, die selbst in so fiesen Fällen durch Vergleiche das Problem löst.

Denn im attraktiven dt. Haftungsmarkt für Vorstände (hohe Policen, selten Haftung) zahlt man in „komplexen Haftungsfällen“ lieber mal, bevor man sich den Ruf versaut. Koch kann auch ein Scherflein beitragen. Denn als Aufsichtsrat bei der Schweizer UBS und bei Vodafone kann er evtl etwas verschmerzen.

Übrigens: Bis zum Jahre 2000 hatten deutsche Unternehmen in der Praxis weder steuer- noch strafrechtliche Konsequenzen bei Korruption im geschäftlichen Verkehr zu fürchten. Schmiergeld wurde steuerlich als „Nützliche Aufwendung“ angesehen.

Good Night & Good Luck

Ihr / Euer

Dr. Stephan Grundmann